Die Stimmung in einem Unternehmen trägt entscheidend dazu bei, ob Beschäftigte dort gerne arbeiten. Führungskultur, Teamzusammensetzung, Ansprüche, Wünsche und Bedürfnisse, Flurfunk und Gespräche an der Kaffeemaschine machen sie aus. Aber sie lässt sich kaum messen - das wollen Dr. Moritz Schirmer und sein Team ändern.
Die Experten für Künstliche Intelligenz und Personal haben eine Künstliche Intelligenz für das Personalwesen entwickelt und wollen damit ein neues KI-Start-up namens tomatter gründen, wie er dem Bremer Staatsrat für Arbeit, Kai Stührenberg, im Gespräch erklärt.
Stührenberg: Herr Dr. Schirmer, provokativ gefragt: Wollen Sie die Personalabteilung durch die KI ersetzen?
Schirmer: Im Gegenteil. Wir wollen den Werkzeugkoffer der Führungskraft und der Personalabteilung ergänzen. Unsere KI schafft etwas, was es bisher noch nicht gibt: Die informelle Sphäre sichtbar zu machen, die bisher im Verborgenen liegt. Wir wollen sie durch KI in Datenform bringen und für das Unternehmen nutzbar machen.
Was machen Sie genau?
Schirmer: Wir schaffen ein Prognosewerkzeug, das Hinweise auf Handlungsnotwendigkeiten geben kann. Zum Beispiel, ob die Stimmung in einem Unternehmensbereich schlecht oder auch besonders gut ist. Ob es irgendwo gehäuft zu Kündigungen kommt, ob die Gefahr eines Burnouts hoch und die Gesundheit der Angestellten in Gefahr ist. Da gehen wir also auch ins betriebliche Gesundheitsmanagement rein.
Unser KI-Prototyp kann aber auch herausarbeiten: Welche Skills könnten noch in einer Abteilung fehlen, um das Team schlagkräftiger zu machen? Wir wollen in der Lage sein, vorhersagen zu können, welche Intervention, welche Maßnahmen tatsächlich wirken und diese vorschlagen.
Heißt das, Sie analysieren das Verhalten einzelner Angestellten?
Schirmer: Ganz klar: Nein. Wir abstrahieren Muster aus anonymisierten Daten und stellen diese dann auf Team- bzw. Abteilungsebene dar. Wir gehen nie auf die Ebene einer einzelnen Person runter. Jede Person hat Hoheit über ihre eigenen Daten und kann jederzeit entscheiden, wann und wie er oder sie sie dem Tool zur Verfügung stellt.
Der oder die Personalverantwortliche kann also mit dem Tool keine Mitarbeitende identifizieren, die etwa gerade vor dem Burnout stehen?
Schirmer: Nein, das geht nicht. Der oder die Bediener:in erhält quasi eine Nachricht „Hier gibt es eine Auffälligkeit, soll das Tool reagieren?“ und dann interagiert die KI wiederum eigenständig mit der oder dem Beschäftigten und schlägt ihr oder ihm mögliche Verbesserungspotenziale vor. Davon kriegt aber niemand sonst etwas mit, wenn die oder der Beschäftigte das nicht wünscht.
Das ist auch wichtig so: Die Auffälligkeit im System muss ja nicht zwingend einen beruflichen Kontext haben. Denn auch das private Umfeld der Angestellten wirkt sich ja auf ihre Leistung und Wohlbefinden auf Arbeit aus, diese Ebenen kann man ja gar nicht trennen. Manchmal ist einem gar nicht selbst bewusst, wie sehr etwas einen beschäftigt. Da kann ein System, das einen darauf aufmerksam macht, ja auch persönlich ganz hilfreich sein.
Machen da die Datenschutzbeauftragten und der Betriebsrat mit?
Schirmer: Wir beziehen sie aktiv ein, die Mitarbeit der Mitbestimmungsgremien und Rechtsabteilungen ist natürlich zentral für unser Projekt. Auch für den Betriebsrat kann unsere KI ja hilfreich sein, denn so kann dieser ein Stimmungsbild aus der Belegschaft erhalten. Und natürlich beachten wir alle Vorgaben des Datenschutzes.
Welche Daten erheben Sie denn und wie kommen Sie an diese?
Schirmer: Zum einen natürlich die rein formalen Daten aus der digitalen Personalakte. Und dann schalten wir Umfragen in den im Unternehmen vorhandenen Kommunikationstools, zum Beispiel Slack oder Microsoft Teams oder per E-Mail, je nachdem. Und nur darüber erheben wir die informellen Daten. Die Nutzer:innen müssen diese aktiv ins System eingeben, ansonsten erhalten wir keine verwertbaren Daten. Es gibt keine passive Überwachung der Kommunikation oder ähnliches.
Auch, wenn Sie selbst eine bauen, sehen Sie durch die KI – gerade im Personalwesen – die Gefahr einer stärkeren Überwachung der Arbeitswelt?
Schirmer: Wir wollen mit tomatter gerade verhindern, dass es zu einem entgrenzten und missbräuchlichen Einsatz der KI im Unternehmen kommt. Deshalb diskutieren wir intensiv ethische Fragen wie: Ist es überhaupt sinnvoll, die informelle Sphäre sichtbar zu machen? Ist es nicht manchmal besser, wenn Dinge auch im Verborgenen bleiben? Wie verhindern wir, dass wir durch die KI Konflikte erzeugen, die ohne gar nicht erst aufgekommen wären?
Aus diesem Grund ist es uns auch wichtig, Anleitungen und Hilfestellungen zu schreiben, die den Personalverantwortlichen zugutekommen. Manchmal kann es sinnvoll sein, dass selbst wenn die KI anschlägt, man bewusst nichts unternimmt, zum Beispiel weil es gesund sein kann, dass sich manche Konflikte auch entladen. Hier ist menschliches Fingerspitzengefühl gefragt, bei aller Automatisierung. Wir planen dafür auch Beratungsdienstleistungen anzubieten.
Ab welcher Unternehmensgröße ist der Einsatz sinnvoll?
Schirmer: Ab 50 Mitarbeitenden ist es sinnvoll. Aber wir haben auch kleine Unternehmen, die an unseren Pilotprojekten teilnehmen. Die haben zum Beispiel einen hohen Digitalisierungsgrad, es gibt wenig persönliche Treffen, weil man auf der ganzen Welt verteilt ist. Da fällt diese zwischenmenschliche Ebene, der Flurfunk, oft weg und da kann es Sinn machen, dass wir uns dazwischenschalten.
Jede KI muss zunächst einmal trainiert werden, bevor man sie bei der Kundin oder dem Kunden einsetzen kann. Woher erhalten Sie Ihre Daten?
Schirmer: Seit ChatGPT und den großen Transformer-KI-Modellen sind wir in der Lage, Sprache kontextübergreifend abzubilden, zu verdichten, Ähnlichkeiten zu erkennen und so auf einer neuen Ebene zusammenzufassen, das war bisher nicht möglich. Und diese Technik nutzen wir.
Es gibt frei verfügbare Datenpools mit echten – natürlich anonymen – Daten, die von internationalen Forschungsinstitutionen bereitgestellt werden, aus denen wir uns bedienen können. Hinzukommen Simulationsdaten, die gute Näherungswerte bieten.
Sie haben an der Universität Bremen studiert und gearbeitet, jetzt gründen Sie in Bremen, wie nehmen Sie den Standort wahr?
Schirmer: Das Schöne in Bremen, wenn man sich einmal in das Netzwerk eingefunden hat, kriegt man schnell viele hilfreiche Kontakte. Das Starthaus Bremen und die Hochschulinitiative BRIDGE haben uns unterstützt, damit wir jetzt einen Antrag für das exist-Gründungsförderprogramm des Bundes beantragen können. Die neue Start-up-Förderung ist ein tolles Tool und auch der Kontakt zum Bremer Transferzentrum KI hat uns weitergebracht.
Wie sieht Ihr Team aus?
Schirmer: Wir sind drei Gründer aus den drei relevanten Disziplinen KI, Personal und Psychologie. Rundherum gibt es ein Team aus fünf bis sechs weiteren Personen sowie Unterstützung durch Professor:innen an der Universität. Wir haben eine steile Lernkurve vor uns, wir wissen noch nicht mal genau, was in drei Wochen ist. Aber das macht es auch so wahnsinnig spannend und motivierend.
Herr Schirmer, vielen Dank für das Gespräch!