Von Johanna Krebs
Ein neues Jahr hat begonnen – und damit auch eine neue Runde von EU Politik. Und die EU-Agenda ist vollgepackt inmitten des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, mit Diskussion über Energiefragen, Rechtstaatlichkeitsprobleme, Rüstungspolitik, steigenden Migrationszahlen, dem Start des EP-Wahlkampfes für 2024 und einem tiefgreifenden Korruptionsskandal.
Auch wenn niemand in die Glaskugel schauen kann, zeichnen sich einige große Themen bereits ab, die die Politik in der EU in 2023 dominieren werden – das heißt, solange es keine weitere, noch nicht absehbare Krise gibt. Eng verbunden mit der Dauerkrise von Krieg und Klimakatastrophe, in der wir uns momentan befinden, sind diese Themen natürlich nur eine Auswahl, denn wenn es an einem in Brüssel nicht mangelt, dann an Themen, die eine politische Lösung brauchen.
Zunächst ist da natürlich die Energiefrage. Auch wenn der diesjährige Winter (überdurchschnittlich) mild ist, steht noch nichts für den Winter 2023/24 fest. Gaspreise haben sich momentan entspannt, jedoch ist zu erwarten, dass diese wieder steigen werden; auch aufgrund der Öffnung Chinas. Denn durch diese Öffnung wird Chinas Wirtschaft wieder anziehen und dementsprechend mehr Energie (unter anderem in der Form von Gas) benötigen. Die EU muss sich daher einigen: Was wird aus der Preisobergrenze für Gas und Öl? Die Kommission plant außerdem einen Vorschlag für die Reform des Elektrizitätsmarkts und ganz allgemein sollten ja auch die erneuerbaren Energien ausgebaut werden. Dieser letzte Punkt läuft unter dem Grünen Deal, dem Flaggschiff der Kommission, welches zwar schon lange im Einsatz ist, allerdings noch auf die breitflächige Umsetzung in den Mitgliedstaaten wartet.
Ein zweiter großer Punkt, der zur Debatte steht, ist die allgemeine Ausrichtung der europäischen Wirtschaftspolitik: wird die EU ihre Freihandelsagenda weiterbehalten oder im Anbetracht der amerikanischen Subventionen für Industrie in den USA (durch den Inflation Reduction Act) ebenfalls beginnen, die europäische Industrie massiv zu subventionieren? Der EU Kommissar für den Binnenmarkt hat sich dafür ausgesprochen. Sollte es jedoch zu einer solchen Industriepolitik kommen, ist es nicht klar, wer diese Subventionen bezahlen würde: gäbe es ein weiteres kreditfinanziertes Paket auf europäischer Ebene, ähnlich dem Next Generation EU Fonds, der im Zuge der Covid-19 Pandemie ins Leben gerufen wurde? Gegen einen solchen Fonds haben sich allerdings schon einige, unter anderem Bundesfinanzminister Lindner ausgesprochen. Sollten Subventionen allerdings auf nationaler Ebene erlaubt werden, würde dies den ohnehin schon angeschlagenen Binnenmarkt weiterhin schwächen: durch Covid-19 Ausnahmeregeln, welche aufgrund des Ukrainekriegs verlängert wurden, war es zum Beispiel Deutschland möglich, das „Doppelwumms-Paket“ zur Unterstützung der schwächelnden deutschen Industrie zu schnüren. Dieses Paket jedoch stellt fast 50 Prozent des Gesamtvolumens an Subventionen, die in der EU ausgezahlt wurden dar, mit Frankreich auf Platz zwei mit circa 30 Prozent des Subventionsvolumens. Industrien in weniger wohlhabenden Staaten, die jedoch direkt durch den Binnenmarkt mit der deutschen/französischen Industrie konkurrieren, sind die direkten Verlierer dieser Ausnahmeregelungen und von diesen viel stärker betroffen, als von jeder amerikanischen Maßnahme.
Eine Entscheidung für diese Problematik muss also bald gefunden werden, und die gesamte europäische Wirtschaft unterstützen, nicht nur Teile davon.
Ein drittes großes Thema könnte erneut Migration sein. 2022 sind Migrationsbewegungen aus dem globalen Süden nach Europa wieder stärker geworden: Frontex meldete für das Jahr 2022 circa 330.000 irreguläre Grenzübertritte, unter anderem aus den Herkunftsstaaten Syrien, Afghanistan, Pakistan und Ägypten. Dies stellt die höchste Zahl seit 2016 und eine Steigerung von 64 % gegenüber 2021 dar, Tendenz steigend. Dafür gibt es viele Gründe, unter anderem weiter anhaltende Konflikte, wie in Syrien und Afghanistan, oder aber auch politische Verfolgung und Unterdrückung. Zudem wird die fortschreitende Klimakrise immer stärker zu einem Migrationsgrund. Die Anzahl von Migrant:innen wird daher in Zukunft nicht abnehmen. Allerdings ist das Dublin-System, das sich bereits in der Krise 2015 als wenig tauglich gezeigt hat, aufgrund von Blockaden auf Ebene der EU-Mitgliedstaaten im Rat immer noch nicht reformiert. Nach dem Dublin System müssen Asylsuchende in dem ersten EU-Mitgliedstaat, in dem sie ankommen, einen Asylantrag stellen – meistens also in den Mittelmeer-Anrainerstaaten. Diese Länder sind allerdings mittlerweile mit der Situation überfordert und lassen Migrant:innen ohne Registrierung weiter nach Norden ziehen, oftmals nach Österreich oder Deutschland. Viele Reformversuche des Systems sind aufgrund von Widerständen im Ministerrat gescheitert und somit ist Dublin immer noch in Praxis. Das hat zu menschenrechtsfeindlichen Praktiken wie Pushbacks an den europäischen Außengrenzen geführt, einer de facto Verweigerung des Asylverfahrens.
Da die Situation sich im nächsten Jahr aufgrund von weiter zunehmenden Migrationsbewegungen voraussichtlich noch verschärfen wird, hat die schwedische Ratspräsidentschaft beschlossen, einen neuen Versuch zu starten, das Asylsystem zu reformieren. Auch die auf Schweden folgende spanische Ratspräsidentschaft hat ein manifestes Interesse daran, hier zu einer Lösung zu kommen. Zusätzlich wird es wohl verstärkt Verhandlungen mit Herkunftsländern geben– um Migrations- und Rückführungsabkommen zu schließen.
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Johanna Krebs
Die Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa
Vertretung der Freien Hansestadt Bremen bei der EU