180-mal. So häufig steht das Wort „europäisch“ im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien, der am 24. November vorgestellt wurde. Über die verschiedenen Themenfelder hinweg ziehen sich viele Bezüge zur Europäischen Union, große Pakete wie der Europäische Green Deal prägen die Vorhaben der Koalitionäre. Doch die Formulierung, die bisher die meiste Aufmerksamkeit bekommen hat, findet sich erst auf Seite 131 von insgesamt 177: das Ziel des „föderalen europäischen Bundesstaates“.
Europa ist überall
Keines der Themengebiete im Koalitionsvertrag kommt ohne europäische Bezüge aus. Deutsche Politik ist immer wieder auch europäische Politik und das schlägt durch.
So behandelt das Kapitel „Klimaschutz in einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft“ viele Aspekte des Europäischen Grünen Deals bzw. des Fit-für-55 Pakets der europäischen Kommission, mit dem die Klimaneutralität bis 2050 europäisch erreicht werden soll. Dazu gehört beispielsweise ein CO2-Grenzausgleich, der Deutschland als Exportnation besonders betrifft, oder auch das Ziel einer „Europäischen Union für Wasserstoff“.
Bei Fragen wie der Energiewende, des Verkehrs oder der digitalen Regulierung ist das Thema Europa immer wieder zu finden. Die Zusammenarbeit mit Frankreich und Polen wird außerdem hervorgehoben.
Auch Themen wie ein EU-Lieferkettengesetz, oder die Strategische Souveränität der Europäischen Union werden angesprochen.
Außerdem will die neue Koalition das Wahlrecht für das Europäische Parlament auf 16 Jahren heruntersetzen.
Das Europakapitel
Im Kapitel „Deutschlands Verantwortung für Europa und die Welt“ werden die Leitlinien für die deutsche Europapolitik der nächsten Jahre noch einmal im Detail behandelt.
Europa soll demnach demokratisch gefestigt, handlungsfähig und strategisch souverän bleiben. Dabei spielt die Rechtstaatlichkeit, die in einigen Mitgliedstaaten derzeit bedroht ist, eine große Rolle.
Ebenfalls angesprochen wird die Wichtigkeit institutioneller Reformen, hierbei soll die Konferenz zur Zukunft Europas helfen.
Abstimmungen im Europäischen Rat sollen häufiger mit qualifizierter Mehrheit möglich werden, und wo Reformen oder wichtige Vorhaben EU-weit zu scheitern drohen, sollen einzelne Mitgliedstaaten vorangehen können, anstatt einen Konsens abzuwarten. Dies könnte eventuell einen Ausweg für die Bereiche bieten, in denen Einigkeit derzeit nicht ersichtlich sind – das Thema Flucht und Migration kann hier als ein mögliches Beispiel genannt werden.
Auch die bereits seit 2003 geplante Erweiterung der EU um die Westbalkan-Staaten wird im Koalitionsvertrag als wünschenswert angesehen.
Das Spitzenkandidatenprinzip für die Wahlen zum Europäischen Parlaments soll von deutscher Seite unterstützt werden.
Unklar bleibt die Linie bei der Frage nach zukünftigen europäischen Schuldenregeln. Seit der Corona-Krise fordern einige Mitgliedstaaten hier Reformen, die Formulierungen des deutschen Koalitionsvertrages lassen hier allerdings viel Spielraum für Interpretation.
Europäische Außenpolitik
In der Außen- und Sicherheitspolitik will sich die künftige deutsche Regierung für ein geeintes Auftraten der EU einsetzen. Dazu gehört auch die Aufwertung des/r EU-Außenbeauftragten zu einem echten „EU-Außenminister“ bzw. einer „EU-Außenministerin“
Mit „integrationsbereiten“ Staaten will man außerdem die Zusammenarbeit im militärischen Bereich verstärken, bis hin zu gemeinsamen europäischen Kommandostrukturen.
Im Verhältnis zum Vereinigten Königreich wird Deutschland sich nach dem Willen der Koalitionäre auch künftig für starke bilaterale Beziehungen und eine gemeinsame europäische Haltung einsetzen, wenn es um die Lösung der durch den Brexit hervorgetretenen Konflikten geht.
Der Koalitionsvertrag zeichnet insgesamt ein Bild des von Deutschland positiv begleiteten Aufbruchs für Europa, das nach dem Willen der Koalitionäre mit Reformvorhaben und weiteren Integrationsschritten ein „Kontinent des nachhaltigen Fortschritts“ werden soll.
Kontakt
Jan Leiße; Tanja Baerman
Die Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa
Leiterin der Abteilung Europa
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