Als größte Arktis-Expedition aller Zeiten half MOSAiC auch Bremer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die Folgen des Klimawandels besser zu beurteilen. Die Auswertung wird Jahre dauern, aber es „ist schon klar, dass die Expedition wichtige Informationen geliefert hat“, sagt Dr. Gunnar Spreen, Leiter der Arbeitsgruppe Fernerkundung der Polarregionen am Institut für Umweltphysik der Universität Bremen nach seiner Reise. Spreen war zu Beginn und zum Abschluss von MOSAiC an Bord des Bremerhavener Forschungseisbrechers „Polarstern“, der sich ein Jahr lang durch eisbedeckten Arktischen Ozean treiben ließ.
Gunnar Spreen ist buchstäblich ein Wissenschaftler mit Weitblick. Als Physiker beobachtet er die längst sichtbaren Folgen des Klimawandels, der für die nächsten Jahrzehnte zu den drängendsten Problemen der Menschheit zählen wird. Der 44-Jährige schaut vorzugsweise auf Satelliten-Informationen über die Entwicklung des arktischen Meereises. Während der MOSAIC-Expedition des Bremerhavener Alfred-Wegener-Institutes für Polar- und Meeresforschung (AWI) kam er dem Thema so nahe wie selten zuvor:
„Dass die Nordpolarregion bereits sehr stark vom Klimawandel betroffen ist, haben wir selbst erlebt“, berichtet Spreen: Das Eis auf dem Arktischen Ozean war weniger dick und haltbar als erwartet. Dennoch war die Teilnahme an der einzigartigen Reise eine ebenso einzigartige Erfahrung: „Wenn man sich überlegt, dass sich rundherum über Hunderte von Kilometern kein einziger Mensch befindet und unter einem 4.000 Meter tiefes Wasser ist, bekommt man schon Respekt“, so Spreen.
Uni Bremen und AWI Bremerhaven führend in der Meereis-Beobachtung
Seit 40 Jahren werten Forschungsteams in aller Welt Satelliteninformationen über die Eisbedeckung der Nordpolarregion aus. Das Institut für Umweltphysik der Uni Bremen hat mit dem AWI eine international führende Rolle bei der Interpretation der Daten inne. „Sie weisen seit Jahren einen Rückgang der Meereisbedeckung im Arktischen Ozean aus“, betont Spreen. Längst kann die Eisbildung während der dunklen und kalten Wintermonate den Verlust in der immer längeren Schmelzperiode und wärmeren Sommermonaten nicht mehr ausgleichen. Rund 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 20 Nationen erforschten die Zusammenhänge nun auch während des arktischen Winters - MOSAiC war seit 20 Jahren die erste Expedition, die mit einem Eisbrecher in die lange Polarnacht führte.
Die „Polarstern“ ließ sich an einer Eisscholle durch die Arktis treiben - mit einem überraschenden Start: „Die Polarstern hatte Probleme, eine geeignete Scholle zu finden, weil das Eis zu Beginn der Winterzeit nicht dick genug war“, berichtet Spreen.
Für Spreen war die Expedition enorm wichtig. Denn die Auswertung der Informationen aus der Fernerkundung über die Meereisbedeckung ist kompliziert und komplex. Die Bilder vom Eis entstehen nicht mit klassischen Kameras: „Wir müssen ja auch während der Dunkelheit oder bei Wolken Informationen sammeln“, erläutert Spreen. Dazu werden Sensorsyteme eingesetzt, die entweder die natürliche Ausstrahlung des Eises im Mikrowellenbereich des elektromagnetischen Spektrums messen oder Mikrowellen aussenden und die Reflexion anschließend auffangen. Diese Beobachtungen erlauben Rückschlüsse auf die Beschaffenheit des Eises bis zu einer gewissen Tiefe. Nicht jedes System oder Verfahren lässt sich im Labor testen oder in Simulationen berechnen. Beispielsweise ist es für den Wissenschaftler wichtig zu wissen, welche Art von Eis zu welchen Signalen in den Sensorsystemen führen. „Über die Verhältnisse in der langen Polarnacht wissen wir nur sehr wenig“, sagt Spreen und unterstreicht damit die Bedeutung von MOSAiC.
Im Dunklen über das Meereis - Faszination und Herausforderung zugleich
In der Dunkelheit die seit mehreren Jahren geplanten Experimente durchzuführen, war eine aufregende Herausforderung für den Forscher. Immer wieder bekamen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu spüren, dass das Eis in der Arktis dünn wird. „Man muss sich schon vorsichtig bewegen, weil sich immer Risse und Spalten auftun konnten“, so Spreen. Andererseits gab es absolut faszinierende Momente – beispielsweise wenn Spreen für bestimme Untersuchungen mit dem bordeigenen Hubschrauber durch die polare Dunkelheit flog. „Die Piloten sind wirkliche Profis“, zollt er der Besatzung für den Einsatz Respekt. Ein einmaliger Anblick: das unwirtliche, meilenweite Eis in der Dunkelheit, nur beschienen vom fahlen Mondlicht.
Spreen war zweimal während der Expedition an Bord der „Polarstern“ – gleich während des ersten Fahrabschnittes zu Beginn der Polarnacht und dann noch einmal zum Schluss, als zum Ende des arktischen Sommers das Gefrieren des Arktischen Ozeans wieder einsetze. Der Bremer Wissenschaftler nutzte die Zeit dafür, bestimmte Fernerkundungsinstrumente vor Ort einzusetzen und ihre Messungen besser zu verstehen. „Wir haben die Sensoren mit Schlitten über das Eis gezogen oder sie am Hubschrauber befestigt, mit dem wir dann größere Strecken abfliegen konnten“, berichtet Spreen. Die gesammelten Daten kann das Forschungsteam am Bremer Institut mit den durch Bohrungen und ähnliche Messungen in der Arktis gewonnenen Erkenntnissen vergleichen: „Das hilft uns später bei der Interpretation und Einschätzung der Daten, die wir von Satelliten oder Flugzeugen aus sammeln.“ Schon der Eindruck vor Ort stimmt ihn optimistisch: „Wir haben einmalige Informationen erhalten, die wir ohne MOSAiC nie bekommen hätten.“
Auf den Spuren eines Pioniers der Polarforschung
Beim Sammeln dieser Informationen erinnerte sich die Besatzung auf der „Polarstern“ immer wieder an eine legendäre Expedition vor 100 Jahren. Von 1893 bis 1896 driftete der norwegische Polarforscher Fridtjof Nansen mit dem hölzernen Dreimaster „Fram“ auf fast der gleichen Route wie die moderne „Polarstern“. Zu Nansens Zeiten war es allerdings deutlich kälter rund um den Nordpol – im tiefsten Polarwinter maß der Norweger Temperaturen von -50° C. Im vergleichbaren MOSAiC-Zeitraum lagen die Temperaturen an manchen Tagen 40 °C höher. Und: Obwohl Nansen nahezu auf der gleichen Route durch den Arktischen Ozean driftete, dauerte seine Expedition wegen des massiven Eises dreimal so lange wie die einjährige Reise der „Polarstern“.
Text: Wolfgang Heumer