Eine „Union der Gleichheit“ zu schaffen – diesen Anspruch hat die Europäische Kommission mit dem Amtsantritt von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen formuliert. Damit verbunden ist das Ziel, Diskriminierung abzubauen und benachteiligte Bevölkerungsgruppen gleichzustellen. Nach einer Strategie zur Gleichstellung der Geschlechter und einem erneuerten strategischen Rahmen für die Inklusion und Gleichstellung der Roma hat die Kommission am 12. November eine Strategie für die Gleichstellung von LGBTIQ-Personen 2020-2025 vorgestellt. Zwar gab es in Mitgliedstaaten der Europäischen Union in den vergangenen Jahren Fortschritte – so haben 21 Mitgliedstaaten gleichgeschlechtliche Paare gesetzlich anerkannt und vier Mitgliedstaaten rechtliche Verfahren zur Anerkennung des Geschlechts ohne medizinische Anforderungen eingeführt – dennoch werden LGBTIQ [1] -Personen weiterhin häufig Opfer von Diskriminierung oder Gewalt. Jüngste Beispiele sind die Ausrufung von „LGBTI-freien Zonen“ in einigen polnischen Regionen oder aktuelle Bemühungen der ungarischen Regierung, trans- und Interfeindliche Formulierungen in die Landesverfassung aufzunehmen. Ein anderes Beispiel – wenn auch von weniger offener Feindseligkeit gekennzeichnet – bietet Deutschland, das gleichgeschlechtlichen Paaren weiterhin die Gleichstellung im Adoptionsrecht verweigert.
Vier Pfeiler für Inklusion und Akzeptanz
„Wir sind noch weit entfernt von der vollständigen Inklusion und Akzeptanz, die LGBTIQ-Personen verdienen“, folgerte Kommissarin Helena Dalli bei der Vorstellung der Strategie. Diese solle dazu beitragen, Europa zu einem besseren und sicheren Ort für alle zu machen. Die Maßnahmen, mit denen die Europäische Kommission ihre Ziele erreichen möchte, teilen sich auf vier Pfeiler auf:
- a) Bekämpfung von Diskriminierung
- Durch einheitliche Anwendung der Gleichbehandlungsrichtlinien der EU in allen EU-Mitgliedstaaten soll der rechtliche Schutz vor Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität/-ausdruck oder Geschlechtsmerkmalen besser durchgesetzt werden.
- Inklusion und Vielfalt am Arbeitsplatz sollen durch einen Bericht über die Anwendung der Rahmenrichtlinie Beschäftigung gefördert werden. Im Anschluss will die Europäische Kommission bis 2022 Gesetzgebungsinitiativen vorlegen, die insbesondere die Rolle der EU-Gleichbehandlungsstelle stärken sollen.
- Die Kommission wird die Verwendung des Europäischen Sozialfonds Plus (ESF+) zur Förderung von Beschäftigung und sozialer Integration weiter ausbauen, um die sozioökonomische Lage der am stärksten marginalisierten LGBTIQ-Personen zu verbessern und Initiativen zu entwickeln, die sich auf die Bedürfnisse des Personenkreises der LGBTIQ konzentrieren.
- Ungleichheiten in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Kultur und Sport sollen bekämpft werden durch
- die Förderung des Austauschs bewährter Verfahren zwischen den EU-Mitgliedstaaten und Expert*innen zur Gewährleistung einer sicheren und integrativen Bildung für alle;
- die Unterstützung der Gesundheitsforschung im Rahmen des Programms Horizon Europe mit Relevanz für die LGBTIQ-Gemeinschaft;
- ein verstärktes Mainstreaming in einschlägigen Beschäftigungs-, Bildungs- und Gesundheitsinitiativen sowie EU-Finanzierungsprogrammen wie EU4Health und Erasmus+.
- Eine Expert*innengruppe, die sich mit Geschlechterstereotypen im Zusammenhang mit Mobbing sowie sexueller Belästigung befassen wird, soll geschaffen werden.
- Im internationalen Raum sollen die Rechte von LGBTIQ-Personen durch Gewährleistung eines angemessenen Schutzes von schutzbedürftigen Asylantragsstellenden sowie gleichzeitige sichere Aufnahme-, Haft- und Unterbringungsbedingungen und die Unterstützung der Gleichstellung von LGBTIQ bei Maßnahmen im Rahmen des Asyl- und Migrationsfonds gewahrt werden.
- Projekte, die sich mit intersektioneller Diskriminierung und Ungleichbehandlung von LGBTIQ-Personen sowie geschlechtsspezifischen Vorurteilen befassen, sollen im Rahmen des EU-Fonds Justiz, Rechte und Werte finanziell gefördert werden.b) Gewährleistung von Sicherheit
- Der rechtliche Schutz für LGBTIQ-Personen vor Hass und Gewalt soll gestärkt werden durch eine für eine 2021 geplante Gesetzgebungsinitiative zur Einstufung von Hassstraftaten einschließlich homophober Hetze als schwere grenzüberschreitende Kriminalität nach Artikel 83 (1) des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).
- Eine stärkere Bekämpfung von Anti-LGBTIQ-Hassreden im Internet und Desinformation soll durch den von der KOM für Ende 2020 angekündigten Digital Services Act sowie die Verabschiedung des EU-Aktionsplans für Menschenrechte und Demokratie 2020-2024
- Im Rahmen der EU-Strategie für die Rechte von Opfern wird die KOM EU-Mitgliedstaaten beim Austausch bewährter Praktiken sowie der Bereitstellung von Unterstützungsdiensten und dem Zugang zu sicheren Unterkünften unterstützen.
- Durch engere Zusammenarbeit mit der Europäischen Polizeiakademie (CEPOL) und dem Europarat will die KOM die Ausbildung und den Aufbau von Kapazitäten für die Strafverfolgung von Hassdelikten unterstützen, um LGBTIQ-phobische Vorurteile zu erkennen und zu erfassen.c) Aufbau inklusiver Gesellschaften
- Die KOM wird 2022 eine Gesetzgebungsinitiative zur gegenseitigen Anerkennung von Elternschaft in grenzüberschreitenden Situationen vorlegen und mögliche Maßnahmen zur Förderung der gegenseitigen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften zwischen EU-Mitgliedstaaten prüfen.
- Der Austausch bewährter Praktiken zwischen Mitgliedstaaten soll gefördert werden, um zugängliche Verfahren zur rechtlichen Anerkennung von transsexuellen, nicht binären und intersexuellen Menschen auf der Grundlage des Prinzips der Selbstbestimmung und ohne Altersbeschränkungen auf nationaler Ebene zu etablieren.
- Die Komission wird Finanzierungsinstrumente bereitstellen, um ein günstiges und nachhaltiges Umfeld für zivilgesellschaftliche Organisationen zu fördern, die sich für die Rechte von LGBTIQ-Personen einsetzen.d) Führungsrolle der EU bei der bei der Forderung nach Gleichstellung von LGBTIQ in der ganzen Welt
- Die Europäische Kommission wird im Rahmen des Instruments für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit (NDICI), des Instruments für Heranführungshilfe (IPA) und des Asyl- und Migrationsfonds Maßnahmen zur Gleichstellung von LGBTIQ auch außerhalb der EU unterstützen.
- Im Rahmen ihrer Außenbeziehungen wird die EU ihr Engagement im Bereich der LGBTIQ sowohl auf politischer als auch auf fachlicher Ebene stärken.
- Die Kommission wird die Bekämpfung der Diskriminierung von LGBTIQ-Personen in alle EU-Politikbereiche integrieren. So sollen potenzielle Beitrittskandidaten für die EU im Zusammenhang der Beitrittsverhandlungen Maßnahmen zur Bekämpfung und Gewalt von Hass und Diskriminierung von LGBTIQ unterstützen.
- Die EU wird sich in internationalen Foren für die Gleichstellung von LGBTIQ einsetzen und sich im Einklang mit ihren Leitlinien zur Förderung und zum Schutz der Ausübung aller Menschenrechte regelmäßig in politischen Menschenrechtsdialogen engagieren.
- Lokale Organisationen der Zivilgesellschaft, die sich für die Förderung und den Schutz der Rechte von LGBTIQ einsetzen, sollen mit EU-Fördermitteln unterstützt werden.
Lob aus Politik und Zivilgesellschaft
Auch wenn die Strategie in der Form einer Mitteilung keine rechtlich bindende Wirkung hat, setzt sie ein deutliches Signal, dass das Thema für die Europäische Kommission einen hohen Stellenwert hat. Die Ernsthaftigkeit wird unterstrichen, indem rechtlich bindende Schritte angekündigt werden. Dazu gehört hier insbesondere die angekündigte Einstufung von LGBTIQ-feindlichen Straftaten einschließich Hassrede als EU-Straftat. Abgeordnete des Europäischen Parlaments und Vertreter*innen der Zivilgesellschaft zeigten sich sehr zufrieden über die Strategie.
Die International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA), ein Dachverband von 600 LGBTI-Organisationen in 54 europäischen und zentralasiatischen Ländern, zeigte sich erfreut über die hohe Priorität, die LGBTI-Rechte in der Arbeit der Europäischen Kommission einnehme. Mit der Strategie nutze die Kommission endlich die verfügbaren Werkzeuge, um LGBTI-Rechte in Europa zu schützen und zu verbessern (siehe hier).
Die Co-Vorsitzenden der LGBTI-Intergroup im Europäischen Parlament, Terry Reintke (Grüne) und Marc Angel (S&D), hoben die besondere Bedeutung der Ausweitung der EU-Straftatbestände auf LGBTI-feindliche Hassrede sowie die Notwendigkeit der Finanzierung im Rahmen des Fonds für Justiz, Rechte und Werte hervor, und lobten das außerordentliche Engagement von Kommissarin Helena Dalli (siehe hier).
Die sozialdemokratische Fraktion bezeichnete die Strategie als ein wichtiges Instrument „zu einem Zeitpunkt, da die LGBTIQ-Rechte von verschiedenen europäischen Regierungen angegriffen werden“ (siehe hier).
Die GUE/NGL-Fraktion stellte die Strategie ausdrücklich in einen Zusammenhang mit Angriffen auf LGBTIQ-Rechte durch die Regierungen in Ungarn und Polen. Vor diesem Hintergrund sei jetzt der richtige Zeitpunkt für die Vorlage der Strategie, so die Abgeordnete Malin Björk. Nun müsse sichergestellt werden, dass die Strategie nicht nur auf dem Papier bleibe (siehe hier).
Auch die Fraktion Renew-Europe mahnte, man dürfe es nicht bei Worten zu belassen. Dies sei nun wichtig, da insbesondere in Ungarn und Polen Rückschritte für LGBTIQ-Rechte zu verzeichnen seien, so die Abgeordnete Liesje Schreinemacher (siehe ).
[1] LGBTIQ steht für lesbian, gay, bisexual, trans, intersex, queer. Auf Deutsch: Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans-, intergeschlechtliche und queere MenschenKontakt
Wolf Krämer
Die Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa
Landesvertretung Brüssel
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