Die künstliche Intelligenz (KI) hält auch in der maritimen Wirtschaft Einzug. Sie ermöglicht autonome Systeme, effizientere Prozesse und einen sichereren Betrieb. Eine Übersicht über den Stand der KI in der Schifffahrt und Hafenwirtschaft mit Beispielen sowie Chancen und Risikoabschätzungen.
90 Prozent aller Güter werden über den Seeweg transportiert. Die maritime Wirtschaft gehört zu den komplexesten Branchen der Welt. Zu einer beinahe unüberschaubaren Vielfalt von Akteuren innerhalb der Transportkette kommen Wetter, Technik und Marktschwankungen als stete Unsicherheitsfaktoren. Als einer der ältesten Industriezweige der Welt verlässt sich die maritime Wirtschaft seit jeher stark auf die menschliche Erfahrung. Doch das ändert sich.
Denn die Möglichkeiten des technischen Fortschritts machen vor der Schiffsbrücke keinen Halt. Ozeankreuzer sind heute schwimmende Büros, die Daten zwischen See und Land in Echtzeit tauschen und so in engem Kontakt mit Reedereien, Logistikern und Behörden stehen. Sensoren geben Auskunft über den Zustand von Systemen, das Schiff ist mit einem Klick im Blick.
All das ist Automatisierung. Mit der künstlichen Intelligenz kommt nun eine neue Ebene hinzu. Sie ermöglicht Autonomie – Selbststeuerung und Selbstoptimierung. Das bedeutet nicht sofort das selbstfahrende Schiff, auch einzelne Prozesse können und werden durch KIs gesteuert. Sie gehen künftig der Kapitänin, dem Reeder, der Kranoperateurin oder dem Schiffsmechaniker zur Hand. Arbeitsabläufe werden so effizienter, sicherer, günstiger und übersichtlicher.
Inhaltsverzeichnis
1. Künstliche Intelligenz: eine Kurzübersicht
KI ist der Versuch, menschliches Denken auf den Computer zu übertragen. Statt einen festen Satz an Befehlen abzuarbeiten, können KIs selbstständig lernen, Muster erkennen, Handlungen ableiten und sich selbst optimieren. Sie können Daten damit schneller, präziser und umfassender bearbeiten als Menschen, was sie für vielfältige Anwendungen nützlich macht.
KIs sind erst seit einigen Jahren in den Schlagzeilen, obwohl die ersten bereits in den 1950ern entstanden. Erst heute steht genug Rechenpower bereit, um kommerzielle Anwendungen zu ermöglichen. Besonders der Bereich des Machine Learning (ML), eine Unterkategorie der KI, ist für die Wirtschaft derzeit von Interesse. Sie kann besonders gut aus vorhandenen Daten Muster und Regeln ableiten und anhand dessen Lösungen erarbeiten.
Um ML nutzen zu können, benötigen KIs einen großen Satz an Daten, an dem sie „trainieren“ können. KIs werden auf einen bestimmten Zweck hin trainiert – zum Beispiel ein Schiff zu steuern – und können dann auch nur innerhalb dieser Aufgabe agieren.
Die maritime Wirtschaft ist prädestiniert für den Einsatz von Machine-Learning-Algorithmen. Denn in der Branche fallen tagtäglich immense Mengen an Daten an, ob nun Frachtpapiere, Emissionsdaten, Betriebskennzahlen oder Dokumentationen. Für all diese lassen sich hervorragend KIs bauen.
Hinzu kommen die hohen Kosten vieler Schifffahrtsvorgänge, in denen bereits Optimierungen von wenigen Prozenten zu entscheidenden Kostenvorteilen werden. Besonders interessant also für eine Branche, die durch geringe Margen und hohen Wettbewerb geprägt ist.
2. KI in der Schifffahrt
In der kommerziellen Schifffahrt wird die KI in den kommenden Jahrzehnten zu einem radikalen Umbruch führen. Dabei ist das „Smart Ship“ – das vollständig digitalisierte, autonome Schiff ohne Besatzung – sicherlich eines der großen Ziele. Sicherheit ist ein zweites – denn zwischen 75 und 95 Prozent alle Unfälle auf See sind auf menschliches Versagen zurückzuführen und durch KIs zu einem großen Teil vermeidbar. Im Folgenden einige Beispiele für Bereiche und Technologien, die derzeit entwickelt werden.
Beispiele für autonome Schifffahrt
- 2018 stellten Rolls-Royce und der finnische Fährendienst Finferries mit der Falco eine völlig autonome Fähre vor. Das rund 50 Meter lange Schiff wird im Kurzstreckendienst eingesetzt. Sein autonomer Betrieb wurde dabei von einem rund 50 Kilometer entfernt arbeitenden Operator überwacht.
- An der Weiterentwicklung dessen arbeitet Rolls-Royce derzeit mit Advanced Autonomous Waterborne Applications Initiative (AAWA),eine Forschungsinitiative, deren Ziel ein autonomes, ozeanfähiges Schiff ist. Als Horizont visiert das Unternehmen derzeit 2035 an.
- Ein weiteres vielbeachtetes Projekt ist die Yara Birkeland, ein 80 Meter langer Boxcarrier, der im autonomen und vollelektrischen Betrieb Düngemittel transportieren soll.
- Die EU fördert derzeit das AUTOSHIP-Projekt, in dem zwei autonome Schiffe, eines für kurze Meeresstrecken und eines für Binnengewässer, entwickelt werden und bis 2023 erste Ergebnisse liefern sollen.
- Einen kleinerer Maßstab hat das Mayflower Autonomous Ship, ein Forschungsboot in Form eines Trimarans, das 2021 zum ersten Mal völlig autonom den Atlantik überqueren soll.
All diese Beispiele zeigen: Das vollständig autonome, kommerzielle Schiff befindet sich derzeit noch im frühen Entwicklungsstadium. Bis Schiffe tatsächlich in großer Zahl eigenständig über die Meere kreuzen, werden noch viele Jahrzehnte vergehen. Dieser Ansicht ist auch Arne Berger, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bremer Zentrum für Technomathematik (ZeTeM) und Experte für maritime KI: „Die Betriebsdauern von Schiffen sind lang, neue Systeme brauchen daher einige Zeit, bis sie sich durchsetzen können. Ich schätze, es dauert noch 20 bis 25 Jahre, bis autonome Schiffe kommerziell eingesetzt werden“, denkt er. „Der Weg der KI beginnt eher mit kleinen Schritten.“
Teilautonome Systeme in der maritimen Wirtschaft
Viele Unternehmen und Projekte beschäftigen sich daher mit Teilautonomisierung, Assistenzsystemen und Nischenlösungen. Das Bremer ZeTeM ist etwa am Projekt Galileo Nautic 1+2 beteiligt. Ziel ist es hier, ein Kollisionspräventionssystem zu schaffen, das Zusammenstöße zwischen Schiffen in küstennahen Umgebungen selbsttätig verhindern soll. „Assistenzsysteme werden dringend benötigt, um der wachsenden Komplexität Herr zu werden. Kapitäninnen und Kapitäne begrüßen diese Hilfen“, so Berger weiter. Auch in vielen weiteren Bereichen der Schifffahrt sind derzeit KI-Systeme in der Entwicklung:
Navigation
Eine der „low-hanging-fruits“ im KI-Bereich ist die Optimierung von Routen, da hier meist hochqualitative Daten in großer Menge vorliegen und kaum neue Technik benötigt wird, da diese Daten ohnehin digitalisiert sind.
- Ein vielbeachtetes Beispiel ist das Kooperationsprojekt der Orient Overseas Container Line (OOCL) aus Hongkong mit Microsoft. Die Reederei nutzt dabei die große Menge an Daten ihrer Flotte, um zum Beispiel Ankunftszeiten an der Kaje besser vorauszusagen und so Aktivitäten im Hafen besser zu koordinieren. Das Unternehmen geht dabei von einem Einsparpotenzial von über zehn Millionen Dollar aus.
- Ein weiteres Projekt: „Map Borealis“ des Start-ups Drift&Noise optimiert die Route durch das Nordpolarmeer anhand von Satellitendaten und will damit entscheidende Zeit- und Kostenvorteile schaffen.
- Für Hafen und küstennahe Verkehre soll das Projekt „Orca AI“ Assistenzdienste anbieten. Das Projekt kombiniert Sensordaten aus Thermal- und Ultra-Low-Light-Kameras, um Positionssysteme und Schiffsradar um eine optische Bilderkennung zu erweitern. Ein ML-Algorithmus übernimmt die Bilderkennung und hilft so, Kollisionen zu vermeiden und gerade in vielbefahrenen Wasserstraßen den „information overload“ auf der Schiffsbrücke zu verhindern. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt SenseTime aus Hongkong.
Sicherheit
Bereits der vorherige Abschnitt hat gezeigt, wie intelligente Navigationssysteme in Zukunft Kollisionen erkennen und vermeiden sollen und so die Schiffssicherheit erhöhen.
Auch die Systeme selbst können durch KIs profitieren. Cybersecurity (siehe auch weiter unten) ist eine der wichtigsten Herausforderungen der digitalen Welt. Computerattacken können nicht nur einzelne Schiffe oder Prozesse lahmlegen – werden etwa Hafenanlagen betroffen, steht schnell die gesamte Logistikkette still. KI-basierte Sicherheitssysteme können hier den digitalen Datenstrom überwachen und bei Unregelmäßigkeiten schnell reagieren.
- Einen tieferen Einblick in das Thema Cyber Security in der maritimen Wirtschaft liefern die beiden Podcast-Folgen des Maritimen Clusters Norddeutschland
Energieverbrauch
Viele der KI-Projekte haben optimierte Routen und Prozesse als Ziel – womit sich automatisch ein geringerer Treibstoffverbrauch ergibt. Darüber hinaus ist aber die Energieeffizienz auch selbst Teil von KI-Projekten.
- Die norwegische Stena-Linie experimentiert so seit 2018 mithilfe einer KI, den Energieverbrauch der Fähren zwischen Gothenburg und Kiel zu reduzieren. Sie nutzt Wetter- und Strömungsdaten sowie weitere Variablen, um die aktuell effizienteste Route zu finden. Testergebnisse haben ein Einsparpotenzial von drei Prozent ergeben.
- Auch das deutsche Start-up Marine Digital bietet ein Fuel Optimization System, das Umgebungsdaten wie auch die Schiffsdaten selbst nutzt, um Routen zu optimieren.
3. KI im Hafen
Nach dem Schiff sind Häfen das nächste logische Ziel von KI-Aktivitäten. Die Vielzahl an Akteurinnen und Akteuren mitsamt der großen Datenmengen durch Dokumentationspflichten, Sensordaten, Maschinen und Geräte ergeben ein hohe Optimierungspotenzial. Häufig sind die einzelnen Agierenden unzureichend miteinander vernetzt, Datenaustausch findet kaum über vereinheitlichte digitale Standards statt. Viele Projekte im Hafen finden deshalb innerhalb relativ geschlossener Umgebungen statt, die einen unternehmensübergreifenden Datenaustausch noch nicht zwingend erfordern. Aber es geht auch anders:
- Ein Beispiel ist Timtetoport, entwickelt vom Hafen Rotterdam. Das System kalkuliert aus den frei verfügbaren AIS-Daten (Automatisches Identifikationssystem der Schiffe) die erwartete Ankunftszeit eines Schiffes im Hafen. So können zum Beispiel die Einsatzzeiten von Schleppern oder Festmacherdiensten optimiert werden.
- Auch der Antwerpener Hafen experimentiert mit einem System aus AIS und zusätzlichen Kameras, um Positionen der Schiffe im Hafen zu tracken und den Verkehrsfluss zu optimieren und so Staus zu verhindern.
- Auch in Bremerhaven liefen und laufen mehrere Projekte, die KI-Algorithmen zur Prozessautomatisierung nutzen. Im Projekt „STRADegy“ erprobte der Hafenbetreiber EUROGATE automatische Van-Carrier, um Container automatisch an das Schiff zu bringen. Das Projekt OBELiSK soll die Flutlichter im weitläufigen Hafenareal so ansteuern, dass Licht nur dort angeschaltet wird, wo es tatsächlich gebraucht wird. Das Projekt RANG-E befasste sich mit autonomen Rangiervorgängen der Hafeneisenbahn – und damit der Optimierung der Hafeninfrastruktur. Das Rangieren von Autos optimiert hingegen das Projekt ISABELLA, dass im Autoterminal des Logistikkonzerns BLG erforscht wird
Im Hafen ist der Weg von der KI zum Roboter kurz, denn viele KI-Systeme haben robotische Komponenten, um autonome Aufgaben wahrnehmen zu können. Neben Fahrzeugen sollen Roboter etwa beim Entpacken von Seecontainern zum Einsatz kommen.
Analog zum „Smart Ship“ steht am Ende dieser Entwicklungen ein „Smart Port“, der volldigitalisiert über die gesamte Logistikkette Daten austauscht und KIs nutzt, um Prozesse zu optimieren. Ein großer Baustein ist dabei der „digitale Zwilling“, ein komplett digitales Abbild aller Hafenprozesse.
4. KI in Unterwasseranwendungen
Unterwasserarbeiten sind häufig gefährlich und anstrengend. Der Bedarf ist aber hoch: Offshorewindkraft, Ölbohrplattformen, Hafenanlagen, Unterseekabel oder Schiffsrümpfe benötigen regelmäßige Inspektionen oder Wartungsarbeiten. Diese Vorgänge zu automatisieren und damit das Gefährdungspotenzial für den Menschen zu senken und die Datenlage zu verbessern, ist eine hohe Motivation für vor allem robotische KI-Anwendungen. Sie haben dabei mit vielfältigen Herausforderungen zu kämpfen, von Kommunikation über Objekterkennung bis hin zu Interaktion mit unterseeischen Gegenständen. Einen guten Überblick über den derzeitigen Stand der Technik liefert der Podcast THINK REACTOR in der Folge 10:
- Derzeit wird das größte autonome Forschung-U-Boot entwickelt. Das Projekt MUM entwirft ein bis zu 50 Meter langes, modulares U-Boot mit, das autonom durch die Meere tauchen soll.
- Der HullSkater ist eine Art Staubsaugerroboter für Schiffshüllen, der eigenständig Rümpfe inspizieren und reinigen soll.
5. KI bei maritimen Dienstleistern und im Schiffbau
Auch entlang der gesamten Logistikkette und in den maritimen Dienstleistungen werden die Potenziale der KI immer offenbarer. Ein wichtiger Teil ist dabei
Wartung & Inspektion
Die Erfassung von Maschinen- und Zustandsdaten ist Alltag in der maritimen Wirtschaft. Für manche Fälle gibt es noch das traditionelle Logbuch. Die digitale Überwachung von Maschinen und Anlagen ist heute weder aus der Brücke- noch aus dem Maschinenraum wegzudenken. Aus dieser reinen Überwachung erwächst in Zukunft die predictive maintenance, also die vorausschauende Wartung. Anhand von vergangenen Daten können KIs Wartungsintervalle festlegen und vor allem Vorhersagen über Zustand und Wartungsbedarf von Einzelteilen oder ganzen Anlagen machen.
- Ein Beispiel ist hierfür Wärtsilä’s Expert Insight, ein System, dass die Schiffsmotoren des finnischen Herstellers überwacht und Wartungscrews proaktiv unterstützen soll.
Neben der Überwachung von Sensordaten wird die KI künftig auch in Drohnen eingesetzt, um Schiffe oder Hafenanlagen überwachen zu können. Aufgrund ihrer Mobilität sind sie besonders gut geeignet, um die vielen unzugänglichen Stellen, ob nun Schiffsaufbauten, Kräne oder Tanklager, regelmäßig zu überwachen.
- Ein Beispiel hierfür ist die ADRASSO Drohne, welche zum Beispiel eingesetzt werden soll, um Ballasttanks zu inspizieren.
Versicherungen
In der Versicherungswirtschaft werden künstliche Intelligenzen tiefgreifende Veränderungen mit sich bringen. Denn sie können viel größere Datensätze durchforsten und zielgenauere Schlüsse daraus ziehen als jeder Mensch und zudem noch Echtzeitdaten direkt vom Schiff in ihren Modellen berücksichtigen.
- Das Londoner Start-up Concirrus nutzt KI, um Datensätze von marinen Versicherungsfirmen zu durchforsten und daraufhin die Policen zu optimieren. Hinzu kommt Echtzeitüberwachung des Schiffes, um zum Beispiel die Gewährleistung von Fahrten durch versicherte und unversicherte Gewässer zu überwachen. Das Start-up selbst spricht von zehn bis 25 Prozent Verbesserung der Kosten
- Insurwave ist ein Start-up, dass KI und die Blockchain nutzt, um viele Aufgaben zu automatisieren und sicher sowie nachvollziehbar zu gestalten
Die KI spart im hohen Maße Arbeitsaufwand, ist schneller und kann weitaus mehr Daten in eine Prämienberechnung mit einbeziehen als Menschen es zuvor konnten. Damit wird es auch möglich, Objekte wie Schiffe viel genauer zu betrachten. Die gewonnene Zeit können Versicherer nutzen, um den Kontakt zu Kundinnen und Kunden zu verbessern oder mehr Zeit für Spezialfälle einzuplanen, bei denen die KI an ihre Grenzen kommt.
Schiffsbau & Werften
Im Schiffbau wird die KI zunächst vor allem auf Konstruktions- und Prozessebene ihren Einzug halten. Wie in anderen Industrien werden Ingenieurinnen und Ingenieure künftig zusammen mit Künstlichen Intelligenzen Schiffe konstruieren. Der Computer hilft dabei, diese effizienter zu designen, indem Anforderungen und Parameter aus den unterschiedlichsten Bereichen automatisch integriert werden. Generatives Design hilft zudem, Strukturen leichter und kostensparender zu gestalten. Auch im Schiffbau wird der digitale Zwilling eine wichtige Entwicklung, die hilft, Schiffe vollständig digital abzubilden und Einsatzprofile zu simulieren.
- Darüber hinaus werden Roboter auch im Schiffbau präsenter. Ein Beispiel ist die Daewoo Shipbuilding & Marine Engineering, welche einen Roboter zur Bearbeitung von Metallplatten testet.
6. Chancen und Risiken der KI-Technologie
Diese Beispiele zeigen: In so ziemlich jeden Bereich der maritimen Wirtschaft wird fleißig an KI-Lösungen gearbeitet. Die Optimierungen, die KIs bieten, führen zu deutlichen Kosten- und damit Wettbewerbsvorteilen der jeweiligen Unternehmen in absehbarer Zeit.
Werden Unternehmen, die noch nicht auf KI setzen, damit abgehängt? Noch sind viele Projekte im frühen Entwicklungsstadium und erfordern hohen R&D-Einsatz. Der Wandel vom Forschungsprojekt zum Realeinsatz kann jedoch sehr schnell erfolgen.
Risiken der KI-Entwicklung in der maritimen Wirtschaft
Validierung und Vertrauen
Im Gegensatz zum Auto ist die Erprobung von autonomen Systemen auf dem Meer deutlich komplexer. Autos haben eine begrenzte Größe und einen klar absehbaren Aktionsradius, ihre Erprobung ist daher einfach einzurichten. Die Erprobung einer KI auf einem Schiff ist hingegen aufwendiger: Auf hoher See sind Systeme unzugänglicher, das Katastrophenpotenzial wie auch die Erprobungskosten sind höher. Häufig kommt es auf See oder im Hafen zu unbekannten Situationen – wie kann eine KI im Voraus beweisen, dass sie die richtigen Entscheidungen treffen wird?
„Besonders interessant wird es sein, die Interaktion zwischen KI und Mensch zu organisieren. Denn die Entscheidungen von künstlichen Intelligenzen sind manchmal nur schwer nachvollziehbar. Das ist eine Kernherausforderung in vielen Bereichen, nicht nur bei Unterwasserfahrzeugen“, erläutert etwa Dr. Jeronimo Dzaack, Head of Technology, Innovation and Sustainability bei ATLAS ELEKTRONIK, der im U-Boot-Projekt MUM (siehe oben) mitarbeitet.
Datenintegration
Eine KI braucht Daten, häufig nach dem Motto: je mehr, desto besser. Unternehmen, die KIs entwickeln wollen müssen deshalb über eine entsprechende Datenbasis verfügen oder anfangen, diese zu sammeln. Gerade bei Vorhaben, welche die Lieferketten überspannen, also mehrere Dienstleistende umfassen, müssen alle Partien bereit sein, Daten und Schnittstellen bereitzustellen. Obwohl solche Kooperationsprojekte für alle Beteiligten häufig die größten Optimierungspotenziale bedeuten, kann es eine Herausforderung sein, Dritte dazu zu überreden, ihre Daten beizutragen.
Zeit, Manpower und Investition
KI-Projekte benötigen Zeit – zwischen sechs und zwölf Monaten im Mindesten – sowie entsprechende Ressourcen. Da der Mittelstand selten über entsprechende Entwicklungskenntnisse verfügt, muss er Know-how einkaufen. KI-Talente sind rar gesät und gut bezahlt.
Ein Ausweg kann hier die Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Förderinstitutionen wie etwa den Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren oder im Norden dem Maritimen Cluster Norddeutschland bieten. Ein Beispiel für eine erfolgreiche Zusammenarbeit ist das Projekt „NautilusLog“, bei dem ein digitales Logbuch dank eines Schiffssimulators entstand, den das gleichnamige Start-up kostenneutral nutzen konnte.
Compliance und Regularien
Maritime Vorschriften können leicht dem technologischen Fortschritt hinterherhinken. Das gilt besonders im Bereich der KI und bei robotischen Anwendungen.
Cybersecurity
Je mehr auf Vernetzung und Digitalisierung gesetzt wird, desto höher liegen die Gefahren von Computerattacken. Cybersecurity ist deshalb bei jedem KI-Projekt mitzudenken.
Arbeit und der Mensch selbst
Wer das Stichwort „Künstliche Intelligenz“ hört, assoziiert es häufig mit dem Ersatz von Arbeitskräften durch Maschinen – besonders wenn von Robotern und autonomen Fahrzeugen die Rede ist. Diese Angst kann vor allem unter den Angestellten für Unruhe, Sorgen und im schlimmsten Fall zur Manipulation von KI-Projekten führen – oder dem Unwillen, auf derartige Technologien zurückzugreifen.
Diese Ängste durch offene Kommunikation und Weiterbildung zu adressieren, ist ein wichtiger Erfolgsfaktor der KI. Die Technologie steckt erst in ihren Anfängen und wird im maritimen Bereich noch lange Entwicklungszyklen vor sich haben. Heutige Systeme zielen vor allem auf die Assistenz ab, dem Menschen seinen Job zu erleichtern und der wachsenden Komplexität unserer vernetzten Welt Herr zu werden.
Zudem kommt der wachsende Fachkräftemangel, der sich aufgrund von demographischen Entwicklungen eher verstärken wird. Ohne robotische Helfer wird es künftig nicht mehr möglich sein, alle Aufgaben zu erfüllen, die eine globalisierte Wirtschaft mit sich bringt.
Chancen der KI-Entwicklung in der maritimen Wirtschaft
Wie bereits oben beschrieben: Die KI bietet die Chance, Prozesse in nahezu allen Bereichen der Branche zu optimieren und damit Zeit und Kosten zu sparen. Wichtig ist dabei das Vorhandensein von Daten oder zumindest die Fähigkeit, diese zu sammeln.
Unternehmen, die sich mit der KI befassen wollen, sollten dabei folgende Tipps beachten:- Klein anfangen: Statt gleich die Vollautomatisierung anzugehen, ist es besser, einen kleinen Bereich herauszusuchen, indem bereits Daten anfallen.
- Hilfe holen: Gerade für den Mittelstand gibt es vielfältige Unterstützungsleistungen, wie etwa die Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren. Bremen ist dabei ein besonders prädestinierter Standort für KI-Anwendungen. Durch die KI-Strategie und das in Entstehung befindliche Bremer KI-Kompetenzzentrum unterstützt das Land gerade den Mittelstand mit zahlreichen Maßnahmen und Fördermitteln.
- Offen agieren: Vernetzung und Kollaboration mit Mitbewerbern oder Zulieferern in bestimmten Bereichen können einen entscheidenden Vorteil geben – zum Beispiel, weil mehr Daten zur Verfügung stehen und KI-Systeme präziser werden.
- Weiterbilden: Auch wer keine KI selbst programmiert, sollte einen Überblick über den Stand der Technik haben – vom Ingenieur bis zur Geschäftsführung. Vor allem gilt es zu verstehen, was eine KI leisten kann und was nicht.
7. Fazit
Der Überblick über die KI in der maritimen Wirtschaft hat gezeigt: In allen Bereichen wird an einer Einführung der KI-Technologie gearbeitet, zu einem Massenphänomen ist sie aber noch nicht geworden. Viele Projekte finden sich in der Erprobungsphase. Aber in einigen Bereichen gibt es bereits erste Anwendungen, die kommerziell verfügbar sind. Auch wenn das vollautonome Schiff noch Jahrzehnte entfernt sein mag, kann es bei Nischenanwendungen sehr schnell gehen.
Die Anwendung der KI folgt der immer weiter zunehmenden Vernetzung innerhalb der Branche. Daten werden in Echtzeit erfasst und ausgetauscht und das in noch nie dagewesenen Größenordnungen. Die zunehmende Geschwindigkeit weltweiter Prozesse und die Komplexität der maritimen Supply Chain nützen letztendlich der KI – denn sie bietet die Chance, die Komplexität für den Menschen handhabbarer zu machen.
Lesen Sie auch:
Kontakt
Dr. Ralf Wöstmann
Die Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa
Referent Industrie & Cluster
T +49 (0) 421 9600-340
ralf.woestmann@wae.bremen.de
Andreas Born
Die Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa
Referent Maritime Wirtschaft und Logistik / Leiter Geschäftsstelle Maritimes Cluster Norddeutschland
T +49 (0) 421 361-32171
andreas.born@wae.bremen.de
Nadezhda Milanova
Die Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa
Schiffbaureferentin des Landes Bremen
T +49 (0) 421 361-8695
nadezhda.milanova@wae.bremen.de
Dr. Iven Krämer
Die Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa
Referatsleiter Schifffahrt und Häfen
T +49 (0)421 361-6062
iven.kraemer@wae.bremen.de