Maßnahmen im Bereich Europäische Gesundheit
Die Maßnahmen von Bund und Ländern zur Eindämmung der Corona-Pandemie und zur Unterstützung betroffener Sektoren sind in aller Munde. Dass der Großteil der Unterstützungsprogramme von Land und Bund kommen, ist zunächst einmal nachvollziehbar: viele Kompetenzen, etwa in den Bereichen Gesundheit, Katastrophenschutz oder Wirtschaftsförderung liegen auf nationaler und regionaler, nicht aber der europäischen Ebene. Dies in der Regel aus gutem Grund, weil diese Themen dort besser behandelt werden können, so besagt es das bekannte Subsidiaritätsprinzip.
Es ist einiges passiert in Brüssel
In letzter Zeit wurde dieses viel beschworene Prinzip jedoch zum Bumerang für die EU-Institutionen: Ihnen wurde im Zusammenhang mit Corona immer wieder Untätigkeit vorgeworfen. Das ist aus zwei Gründen unpassend: weil erstens die Mitgliedstaaten die in Rede stehenden Kompetenzen nicht auf die europäische Ebene übertragen haben und es zweitens dort, wo es möglich ist, eine ganze Reihe an bemerkenswerten europäischen Initiativen gibt. In loser Reihenfolge stellt die Landesvertretung Brüssel die wichtigsten Maßnahmen auf europäischer Ebene im Hinblick auf die Corona-Pandemie vor, beginnend mit denen im Bereich Wirtschaft und Finanzen. Weitergehende Informationen finden sich in den Verlinkungen.
Die EU und die Gesundheitspolitik – vom limitierten Tätigkeitsbereich der EU zu einem durch COVID-19 gestärkten Politikbereich
Durch COVID-19 ist die EU-Gesundheitspolitik wieder in den Fokus der EU-Politikbereiche gerückt. Als Folge wird zu einem Zeitpunkt, zu dem die Abschaffung des kleinen, aber eigenständigen Gesundheitsprogramms ab 2021 schon so gut wie beschlossen war, dieses nicht nur gesichert, sondern auch substantiell ausgebaut.
Das Thema Gesundheit spielte zwar schon vor der COVID-19 Krise in verschiedenen Politikbereichen der EU eine Rolle, z.B. im Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 und im Rahmen der Säule Sozialer Rechte. Doch die Bedeutung war sehr limitiert, sowohl was den Politikbereich als Ganzes angeht, wie auch mit Blick auf seine finanzielle Ausstattung. Für das 3. Gesundheitsprogramm der EU war im noch laufenden EU-Haushalt von 2014-2020 die eher bescheidende Summe von 449,4 Mio. Euro vorgesehen. Hintergrund hierfür ist, dass für die Organisation und Bereitstellung von Gesundheitsdienstleistungen und medizinischer Versorgung grundsätzlich die Mitgliedsstaaten zuständig sind (Artikel 168 AEUV). Die Gesundheitspolitik der EU ist daher bislang vom Vertrag auf die Koordinierung und Ergänzung der Maßnahmen und Aktivitäten der Mitgliedsstaaten beschränkt und hat dabei folgende Ziele:
- Schutz und Verbesserung der Gesundheit der Bürger*innen Europas durch Prävention von Krankheiten und Einbeziehung von Gesundheitsfragen in alle EU-Politikbereiche
- Unterstützung der Mitgliedsstaaten bei der Modernisierung der Infrastruktur im Gesundheitswesen
- Verbesserung der Effizienz der europäischen Gesundheitssysteme; Zugang zu besserer und sicherer (auch grenzübergreifender) Gesundheitsversorgung für die EU-Bürger*innen.
Die Europäische Kommission kann hierzu Legislativvorschläge machen, Fördermittel bereitstellen und den Austausch zwischen den Mitgliedsstaaten unterstützen und koordinieren.
Was wurde in der COVID-19 Krise von der EU getan?
Bei den im Kontext der COVID-19 Krise konkret auf die Gesundheit der europäischen Bürger*innen ausgerichteten europäischen Maßnahmen ging und geht es entsprechend der EU-Zuständigkeit nach Art. 168 vor allem um die Koordinierung und Sicherstellung von Informationen und die Materialbeschaffung. Folgende Bereiche erfahren/erfuhren eine Unterstützung durch die EU:
Bereitstellung medizinischer Ausrüstung:
Im Vordergrund stand dabei vor allem zu Beginn der Krise die Verfügbarkeit von medizinischer Schutzausrüstung. Über das Emergency Support Instrument und in Kooperation mit dem zivilen EU-Katastrophenschutz rescEU wurde die Verfügbarkeit von Handschuhen, Schutzanzügen und anderen medizinischen Hilfsmitteln erhöht. Zudem wurde an der Steigerung der Produktion, einer Erleichterung des Imports sowie alternativen Produktionsmethoden für Geräte gearbeitet. Zudem wurde die Ausfuhr von Schutzeinrichtungen zeitweilig genehmigungspflichtig, um sicherzustellen, dass die notwendige Ausrüstung in Europa vorhanden war.
Unterstützung relevanter Forschung:
Auf die Forschung und vor allem die Impfstoffentwicklung setzt man bei der Bewältigung der COVID-19 Krise große Hoffnungen. Dementsprechend wurden hier die Maßnahmen kurzfristig massiv und effektiv verstärkt. Siehe auch # 2. Gleichzeitig wurden im Rahmen des 3. EU-Gesundheitsprogramms im März 2020 kurzfristig Ausschreibungen veröffentlicht, u.a. zum öffentlichen Auftragswesen im Gesundheitswesen in der EU sowie zur Unterstützung von Investitionen im Gesundheitswesen, zur Unterstützung einer verstärkten Zusammenarbeit zur Impfung bei vermeidbaren Krankheiten und Unterstützung von Reformen im Bereich des Gesundheitspersonals. Alle diese grenzübergreifenden Aktivitäten sollen zur Bewältigung der Corona Pandemie beitragen.
Zusätzliche Fördermittel für die Impfstoffförderung:
Im Rahmen einer Online-Videokonferenz hatte die Europäische Union Anfang Mai 2020 eine Geberkonferenz gestartet mit der bisher 9,8 Mrd. Euro Spendengelder zur Finanzierung der Entwicklung und Produktion von COVID-19 Diagnostika, Therapien und Impfstoffen gesammelt werden konnten Der Spendenmarathon wird mit einer neuen Kampagne mit der internationalen Organisation „Global Citizen“ fortgesetzt.
Es ist anzumerken, dass derzeit weltweit mehr als 100 verschiedene Ansätze zur COVID-19 Impfstoffentwicklung gefördert werden.
Datensammlung und Bereitstellung:
Das ECDC (European Center for Disease Control) in Stockholm-Solna liefert Überwachungsdaten und wissenschaftliche Beratung zu den 52 meldepflichtigen übertragbaren Krankheiten, sowie zu Krankheitsausbrüchen und sonstigen Bedrohungen der öffentlichen Gesundheit. Die Agentur bezieht ihre Fachkenntnisse und ihr Wissen von ihren Sachverständigen, von europaweiten Netzwerken für bestimmte Krankheiten sowie von den nationalen Gesundheitsbehörden. Seit Beginn der COVID-19 Krise stellt das ECDC wichtige Zahlen zu Infektionen und Todesfällen in Europe und weltweit bereit. Dies erhöhte die Transparenz und bildete auch die Grundlage für Entscheidungen der Politik.
Leitfaden zu COVID-19 Testsystemen:
Das Wissen über das Vorhandensein von Erkrankungsfällen bzw. die Durchseuchung der Bevölkerung mit dem SARS-CoV-2-Virus (akute Erkrankung oder bereits zurückliegende Infektion) sind wichtig bei der Bewältigung der COVID-19 Pandemie. Solange es keinen Impfstoff gegen COVID 19 gibt, wird man mit dem Virus leben müssen. Das heißt Maßnahmen zur Hygiene und Social Distancing sind ebenso wichtig wie Testsysteme, um Erkrankte frühzeitig identifizieren zu können und den Immunstatus der Bevölkerung und von Individuen bestimmen zu können. Der von der EU-Kommission am 15.4.2020 vorgelegte Leitfaden skizziert den regulatorischen Kontext von COVID-19-bezogenen in-vitro Diagnostika in der EU und gibt einen Überblick über die verschiedenen Testarten und ihre Zwecke.
Was hat sich durch COVID-19 für die EU geändert?
COVID-19 hat sich von China aus auf der ganzen Welt verbreitet. Dabei hat sich gezeigt, dass sich das Virus und die Pandemie nicht für Grenzen oder Geopolitik interessiert. Alle Länder haben früher oder später Maßnahmen zur Begrenzung der Infektionen eingeführt, wobei die Maßnahmen (Ausbau der medizinischen Infrastruktur, Grenzschließungen etc.) sehr ähnlich waren, diese aber nur in beschränkten Maße koordiniert erfolgten. Viele wesentliche Maßnahmen wurden anfangs von den Nationalstaaten getroffen, ohne dass die EU oder auch nur die Nachbarstaaten in die Entscheidungsprozesse einbezogen wurden. Die EU ergänzte allerdings bereits ab einem frühen Zeitpunkt die Maßnahmen, um die nationalen Bemühungen zu unterstützen und zu stärken, v.a. da, wo grenzübergreifende, koordinierende Aktivitäten notwendig und sinnvoll waren.
Dieses nationalstaatlich geprägte Vorgehen ist zunächst nachvollziehbar, es hat aber auch Diskussionen über Stärken und Schwächen und zum grundlegenden Wert von Solidarität in Europa angestoßen. Denn auch wenn die Maßnahmen in Europa insgesamt grundsätzlich effektiv waren, hat sich doch gezeigt, dass an vielen Stellen eine stärkere koordinierende oder auch steuernde Rolle der EU wünschenswert gewesen wäre.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat am 13.05.2020 in ihrer Rede auf der Plenartagung des Europäischen Parlaments dann auch ein neues Gesundheitsprogramm angekündigt , das Ende Mai 2020 bereits vorgestellt wurde. Es soll den Namen EU4Health tragen und mit einem substantiell gesteigerten Budget von 9,4 Mrd. Euro (2021-2027) ausgestattet sein. Mit dem neuen Programm soll sichergestellt werden, dass die Gesundheitssysteme der EU auf künftige Gesundheitsgefahren besser vorbereitet sind. Es zielt insbesondere auf ein verbessertes Krisenmanagement (Überwachung von Krankheiten, Koordinierung, Kapazitäten, Reserven an medizinischem Material etc.), die Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit von Arzneimitteln und anderen Medizinprodukten, die Förderung von Innovationen und die Stärkung der Gesundheitssysteme ab. Geplant ist, Ungleichheiten beim Gesundheitsstatus von Bevölkerungsgruppen, den Zugang zu Gesundheitsvorsorge und Heilbehandlung, ungleiche Verteilung der Kapazitäten der Gesundheitssysteme, die Digitalisierung im Gesundheitsbereich sowie Gesundheitsbelastungen durch Umweltschäden und Umweltverschmutzung und Demographie anzugehen. Auch wenn die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für das Gesundheitswesen durch EU4Health derzeit nicht angetastet werden sollen, hat durch die geplante Ausweitung der EU-Aufgabenfelder im Gesundheitsbereich eine Diskussion auf allen Ebenen begonnen. „Diese Krise hat deutlich gemacht, dass unsere kollektive Reaktionsfähigkeit auf eine andere Ebene gebracht und erhöht werden muss. Wir brauchen mehr Europa im Bereich der öffentlichen Gesundheit“, sagte Stella Kyriakides, die EU-Kommissarin für Gesundheit . Und Margaritis Schinas, Vizepräsident der EU-Kommission, sagte: „Schließlich könnte dieses neue Gesundheitsprogramm eine Gelegenheit sein, unsere Kompetenzen in Gesundheitsfragen zu erweitern. Ein Thema, das im Zusammenhang mit der bevorstehenden Arbeit an der Konferenz zur Zukunft Europas diskutiert werden könnte“ .
Für eine Ausweitung der EU-Kompetenzen und Zuständigkeiten im Gesundheitsbereich besteht durch die COVID-19 Krise eine für die Europäische Ebene günstige Stimmung. Auch die EU-Mitgliedsstaaten sehen die Verlagerung bestimmter Aufgaben auf die EU-Ebene nicht mehr so kritisch wie vor der Pandemie. Langfristig könnte es durch eine Vertragsänderung zu einem größeren Mitspracherecht der EU im Gesundheitsbereich kommen.
Fazit
COVID-19 hat die politische Agenda in allen EU-Politikbereichen nachhaltig verändert. So wird die Gesundheitspolitik in den nächsten Jahren in den Prioritäten der Europäischen Kommission von der wirtschaftlichen Erholung/Recovery über den Green Deal bis zur Digitalisierung und den sozialen Rechten eine wichtige Rolle spielen. Aber auch der Politikbereich „Gesundheit“ als solcher ist auf europäischer Ebene durch die Krise gestärkt worden.
Weiterführende Links
https://ec.europa.eu/info/live-work-travel-eu/health/coronavirus-response/public-health_en
https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/IP_20_819
https://ec.europa.eu/info/live-work-travel-eu/health/coronavirus-response/eu-medical-and-health-support_en#emergency-support-instrument-for-coronavirus-crisis-response
Kontakt
Dr. Martina Hilger
Die Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa
Landesvertretung Brüssel
Referentin für Wissenschaft, Gesundheit, Verbraucherschutz und Kultur
T +32 2 282 00 73
martina.hilger@europa.bremen.de