von Gerrit Reichert
Können E-Bikes das Auto als Transportmittel ersetzen? Das Pilotprojekt UrbanBRE fragt jetzt, um Antworten für die Struktur von Bremens Citymobilität von morgen zu finden.
Bremen, morgens um 07:00 Uhr. Im Frischeregal stehen Milch und Butter, wo sie immer stehen, in jedem Einzelhandelsgeschäft der Großstadt wird die neue Ware einsortiert. So geht das Werktag für Werktag, nie bleibt ein Regal leer, nirgends. Die logistische Leistung, allein den Bremer Einzelhandel mit seinen 140.000 Quadratmetern, 20 Fußballfelder groß, Nacht für Nacht und Tag für Tag mit seinen tausendundeins Produkten zu bestücken, ist enorm. Deutschlandweit leistet das eine Armada von inzwischen über drei Millionen Lkw, die Transporter nicht mitgerechnet. Wie viele davon sind es in Bremen?
Station im Güterverkehrszentrum Bremen GVZ
Einer, der es wissen könnte, guckt direkt auf eine Logistik-Kulisse aus Containern und Lkw - Ralph Sandstedt. Sein Büro hat er im Herzen der Bremer Logistik, dem Güterverkehrszentrum (GVZ). Hier, im Gebäude der ROLAND Umschlagsgesellschaft, ist auch die Geschäftsstelle der GVZ Entwicklungsgesellschaft Bremen mbH. Als ihr Geschäftsführer entwickelt Ralph Sandstedt aktuell mit der Deutsche GVZ-Gesellschaft mbH, Hellmann Worldwide Logistics und dem Bremer E-Bike-Spezialisten RYTLE das Pilotprojekt UrbanBRE, gefördert vom Wirtschaftssenator. Wie viele Lkw kommen denn nun täglich nach Bremen, Herr Sandstedt?
"Alleine hier im GVZ sind es 6.000 bis 7.000 pro Tag", sagt Ralph Sandstedt, "ihr Anteil am Innenstadtverkehr ist aber schwer einzuschätzen." Offizielle Zahlen gibt es nicht, am anschaulichsten werde die Transport-Logistik aber durch die zunehmende Dichte der Paket-Versender: "Heute fahren im Schnitt sechs Versender in die gleiche Straße", sagt Ralph Sandstedt, "das schafft Probleme bei der Luft, dem Lärm und dem Verkehrsfluss." Mit UrbanBRE wollen die vier Projektpartner diese drei Negativfaktoren durch eine positive Alternative ersetzen. "Die Kunst ist es, ein neues System zu finden, in dem sich alle Transportunternehmen wiederfinden", beschreibt Ralph Sandstedt die strategische Herkulesaufgabe.
Fahrtwege bündeln, um effizienter zu werden
Denn beim bestehenden, alten System richten die Transportunternehmen ihre Routen durchweg nach ihren Kunden aus, und die Kunden sind Geschäftsgeheimnis. In Bremen wie überall flutet darum die Armada aus Transportfahrzeugen auf individuellen Routen die enge Stadt, statt vor ihren Toren gemeinschaftlich abzuladen und die letzte Meile hinein gemeinsam zu koordinieren. "Das war und ist die Gretchenfrage der City-Logistik, dass die Versender verständlicherweise nicht bereit sind, ihre Kunden zu Gunsten einer Gemeinschaftslösung preiszugeben", sagt Ralph Sandstedt. Da geht es um Vertrauen, da geht es um Geld. Allein der Umsatz der vergleichsweise kleinen Paketdienste lag bundesweit nach letzten Zahlen bei rund 20 Milliarden Euro (2017).
Seit Februar arbeiten Ralph Sandstedt und Svetlin Ivanov bei der GVZ Entwicklungsgesellschaft Bremen mbH zusammen mit ihren Partnern an der Pilotlösung UrbanBRE. "Was im Kleinen funktioniert, sollte auch im Großen klappen", sagt Svetlin Ivanov zuversichtlich. Das Kleine, "Step one", denkt er so: "An einem externen Ort wie dem GVZ kommt die Ware an. Von hier wird sie auf einem Weg zu einem zentralen Umweltladepunkt in der City gefahren." Das Entscheidende sei jetzt die sogenannte letzte Meile: "Vom zentralen Umweltladepunkt aus fahren spezielle E-Lastenbikes alle Waren an ihre Bestimmungsorte. In der letzten Meile liegen die größten Einsparpotentiale, es ist darum auch die größte logistische Herausforderung", sagt Svetlin Ivanov.
Lastenfahrräder als Transportmittel der Zukunft
Hellmann Worldwide Logistics ist in diesem Planspiel konsolidierender Zulieferer, der Bremer E-Bike-Spezialist RYTLE übernimmt die letzte Meile. Seine E-Lastenfahrräder mit ihrem speziellen Transportsystem sind schon jetzt in 20 europäischen Städten im Einsatz, unter anderem in Hamburg, Berlin, München, Rotterdam und Paris.
Vom GVZ transportieren LKWs von Hellmann Worldwide Logistics sogenannte micro-HUBS zum Umweltladepunkt. micro-HUBS sind Container-Boxen, jeder Container enthält neun kleinere Boxen, von denen jeweils eine auf ein E-Lastenfahrrad passt. Die RYTLE-Räder übernehmen die letzte Meile zu den jeweiligen Empfängern ihrer Ware. Rücksendungen aus der Innenstadt sollen auf dem gleichen Weg ins GVZ transportiert werden.
"Schmetterlingstour" nennt Dr. Arne Kruse das, Mitgründer des Bremer Start-ups RYTLE. Der promovierte Elektro-Ingenieur und Ökonom hat viele Jahre in der Automotive-Branche gearbeitet und sich hier eine internationale Expertise in der intelligenten Verknüpfung von Auto und E-Bike erarbeitet: "Es ist für unseren Logistikansatz wichtig, dass man nicht voll hin fährt und leer zurück kommt. Jede Tour muss wie der Schmetterlingsflügel so geplant sein, dass man mit der letzten Auslieferung wieder voll zum micro-HUB zurück fährt." Also liefern und empfangen, permanent, keine Leerfahrten. Er und das RYTLE-Team arbeiten an einer intelligenten IT, die die gesamte Warenlogistik aus tausendundeins Produkten und tausendundeins Lieferpunkten fehlerfrei steuert. Das bedeutet: Registrieren beim GVZ, empfängergerecht Sortieren in die micro-HUBS, punktgenau Zustellen ab Umweltladepunkt mit dem E-Lastenrad und umgekehrt.
Die Sache mit den Daten
Die Herkulesaufgabe, die Daten von Transportunternehmen, ihren Kunden und deren Umsatz zu schützen und niemandem offenzulegen, will Dr. Arne Kruse digital lösen: „Unsere Software schützt jedes Unternehmen und seine Kunden genauso gut wie bisherige Systeme“, sagt er, „unser System ist aber bis zu 50 Prozent effizienter und darum für die Unternehmen bedeutend lukrativer.“ Aktuell sucht das Projektteam von UrbanBRE vor allem nach einer Fläche für den micro-HUB. „Praktisch könnten wir dann Ende Sommer starten“, sagt Ralph Sandstedt. Das hansestädtische Pilotprojekt wird von der Deutsche GVZ-Gesellschaft mbH, dem Verband der deutschen Güterverkehrszentren, wissenschaftlich begleitet. Das GVZ Bremen war das erste GVZ in Deutschland und behauptet sich bis heute als das größte. Es ist also ein guter Ort, um die Zukunft der City-Mobilität in der Gegenwart zu gestalten.Lesen Sie auch:
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