Von Steffen Koller
Anfassen, ausprobieren, forschen: Wer beim Bremer SMILE-Projekt mitmacht, erlebt Informatik hautnah. Kein Starren auf den Monitor, kein Pauken von komplizierten Algorithmen – stattdessen in den Laboren der Zukunft lernen und experimentieren. Und das unter Anleitung zahlreicher Experten. So wie Dr. Serge Autexier, der in den vergangenen zwei Jahren mehr als 300 Schülerinnen bei Kursen und Workshops in die Welt der IT-Branche eingeführt hat.
Dr. Serge Autexier kam 2008 nach Bremen und übernahm vor etwa fünf Jahren das 2009 gegründete Ambient Assistant Living Lab (BAALL) am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) – ein smartes Wohnlabor, in dem Kleiderschränke, Pflanzen, Beleuchtungssysteme und vieles mehr mittels elektronischer Apps gesteuert werden. Zukunft auf 60 Quadratmetern. Im BAALL werden intelligente Technologien in einer realitätsnahen Umgebung getestet und Entwicklungsarbeit so auch für die Öffentlichkeit sichtbar gemacht. „Das BAALL ist eine komplett eingerichtete Wohnung, die sich den Bedürfnissen der Bewohner anpasst“, sagt Dr. Serge Autexier.
Genau hier ist auch das Projekt SMILE in Bremen angesiedelt. Seit mehr als zwei Jahren lernen Schülerinnen in Kooperation mit der Universität Bremen kennen, wie solch eine High-Tech-Wohnung funktioniert und wie einfach – und vor allem spannend – es sein kann, selbst zu programmieren. Auch in die Welt von Laser- und Vinylcuttern sowie 3D-Druckern tauchen die Schülerinnen ein. Dafür steht zum Beispiel das FabLab zur Verfügung – ein Labor, bei dem Kompetenzen und Kreativität gezielt entwickelt und gefördert werden. Experimentieren ausdrücklich erwünscht.
Intelligente Pflanzen selber bauen
Im MINT-Bereich, als den Studienrichtungen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, liegt der Anteil weiblicher Studierender deutschlandweit nur bei etwa 15 Prozent. Auch in Bremen ist er laut Dr. Serge Autexier mit rund 18 Prozent bislang relativ niedrig. Auch deshalb haben der Experte für Künstliche Intelligenz und seine Kollegen das Projekt ins Leben gerufen. Weit weg vom gängigen Klischee, Informatiker würden ausschließlich am PC sitzen und kein Sonnenlicht sehen, erfahren die Schülerinnen in mehrtägigen Workshops, die speziell an ihre Altersstufe und das jeweilige Wissensniveau angepasst sind, die Welt der Bits und Bytes kennen. „Die Erfahrbarkeit ist unglaublich spannend“, so Dr. Serge Autexier. Viele der Kursteilnehmerinnen seien mehr als überrascht, dass sie trotz überschaubarem Vorwissen in kürzester Zeit eigene Projekte realisieren können. Konkret geht es in den Workshops unter anderem darum, eine intelligente Pflanze zu bauen. Dazu werden an eine normale Zimmerpflanze Sensoren angeschlossen, die die Lichtintensität sowie den Wasserpegel messen. Zusätzlich erstellen die Schülerinnen Programme am PC, die in der Lage sind, Informationen zu empfangen und entsprechend zu reagieren. Sinkt beispielsweise der Wasserpegel im Topf der Pflanze unter 70 Prozent, wird der Besitzer mittels Warnsignalen auf die fehlende Flüssigkeit aufmerksam gemacht. Außerdem, so Dr. Serge Autexier, könnten den Pflanzen ganz konkrete Charaktereigenschaften zugewiesen werden. „Es gibt sie in zickig, aber auch in gutmütig. Eben das, was die Schülerinnen wählen.“ Mit einem 3D-Drucker aus dem FabLab stellen die Teilnehmerinnen kleine Lämpchen her – rote LEDs stehen für zickig, grüne zum Beispiel für eine ausgelassene Pflanze. „Und je nachdem, wie nah man der Pflanze kommt, reagiert sie“, erklärt der 47-Jährige.„Die Erfahrbarkeit ist unglaublich spannend.“
Übergeordnetes Ziel des Projekts ist dabei nicht nur, jungen Mädchen von der fünften Klasse bis zum Abitur die verschiedenen Facetten der IT-Branche näher zu bringen, sondern vor allem „die nachhaltige Erhöhung des Frauenanteils, die ein Studium der Informatik aufnehmen sowie die Senkung der Abbruchquoten, um die Anzahl an Informatik- Akademikerinnen nachhaltig zu steigern“, erklärt der Bremer Projektleiter Dr. Serge Autexier.
Projekt vereint viele Partner in Norddeutschland
Er und sein Team, das in der Hansestadt aus Beschäftigten und Studierenden des DFKI, der Abteilung für Kognitive Neuroinformatik, dem Lehrstuhl für Digitale Medien in der Bildung (DiMeB) und dem Institut für Künstliche Intelligenz besteht, liegt es darüber hinaus sehr am Herzen, dass die Schülerinnen auch zeigen, was in den einzelnen Kursen entstanden ist. Dazu werden vom Projekt aus regelmäßig sogenannte SMILE-Expos veranstaltet. Im kommenden Jahr wird die SMILE-Expo in Bremen stattfinden (29. Februar 2020). Dann sind auch explizit Eltern und Lehrende eingeladen, sich zeigen zu lassen, was in den einzelnen Workshops entstanden ist. „Wir wollen den sozialen Kontext erfahrbar machen“, begründet Dr. Serge Autexier das Vorgehen. „Das soziale Umfeld soll ganz klar mit eingebunden werden.“ Nur so könne ein Umdenken stattfinden, ist sich der Experte für Künstliche Intelligenz sicher. Eltern und Lehrende sollen dann anhand von konkreten Beispielen sehen, was entsteht, warum es gemacht wurde und welchen Nutzen es hat. Neben den Bremer Beteiligten sind an das Verbundprojekt zudem die Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg, das OFFIS e.V. in Oldenburg und der Lehrstuhl für Didaktik der Informatik der Carl-von-Ossietzky Universität in Oldenburg angeschlossen. Ein Großprojekt für große Ziele.In den vergangenen zwei Jahren, so die Erfahrung von Dr. Serge Autexier, sei die Resonanz am Kursangebot sehr gut gewesen. „Ganz besonders die jüngeren Mädchen sind sehr interessiert.“ Hinzukomme, dass alle Angebote kostenfrei seien, sogar Fahrtkosten für Schulklassen werden erstattet und Arbeitsmaterialien zur Verfügung gestellt.
Nach nun zwei Jahren läuft bald die Förderung des Projekts aus, doch für Dr. Serge Autexier ist das nur bedingt ein Grund zur Sorge. „Wir sind da noch nicht über den Berg“, sagt der Bremer Projektleiter. Zwar seien viele Schülerinnen begeistert gewesen, ob all das auch in reales Engagement umzumünzen sei, müsse die Zukunft zeigen. Doch Dr. Serge Autexier und die Bremer Beteiligten haben vorgesorgt: Mittlerweile knüpften er und seine Kollegen erste Kontakte zur Industrie und zu IT-Firmen. Auch Praktika in Verbindung mit dem SMILE-Projekt seien angedacht. „Das Interesse ist einfach sehr groß“, weiß Dr. Serge Autexier. Und auch Unternehmen seien bereits auf ihn zugekommen, hätten Interesse bekundet um auch für die Zukunft gut aufgestellt zu sein. Läuft es so wie bisher, steht dem weiteren Aufschwung der bremischen Informatik-Branche nichts im Weg.
SMILE steht für „Smart Environments als Kontext motivierender Lernangebote für Mädchen für einen wachsenden Anteil von Informatikerinnen durch Einbezug von Lehrkräften und Eltern“ und ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördertes Verbundprojekt. In Bremen werden Kurse vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und der Universität Bremen durchgeführt. Weitere Partner in Norddeutschland sind die Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg, das OFFIS e.V. in Oldenburg und der Lehrstuhl für Didaktik der Informatik der Carl-von-Ossietzky Universität in Oldenburg. Die nächste SMILE-Expo findet am 29. Februar 2020 in Bremen statt.