Bremen-Borgfeld. Ein typischer Großstadt-Vorort: Eine gemütliche Siedlung, umgeben von Ackerland, Wohngebiete mit Einfamilienhäusern, Nahversorger, Schulen, Restaurants. Ein idealer Ort, um ins Grüne zu ziehen – oder um autonome Fahrzeuge auf die Probe zu stellen.
Denn im Gegensatz zu einer Autobahn ist das autonome Fahren in einer Wohnstraße in Borgfeld eine Herausforderung. "Ländliche Straßen haben oft keine eindeutige Begrenzung – mal kann der Straßenrand ein Bordstein sein, mal sind es Bäume und Büsche, mal parkende Autos, Fahrradwege oder Schotter. Das alles zu erkennen und zu unterscheiden ist für einen Computer sehr schwer", so Dr. Mitja Echim.
Der wissenschaftliche Mitarbeiter am Bremer Zentrum für Technomathematik (ZeTeM) an der Universität Bremen kennt sich mit autonomen Fahrzeugen aus. In den vergangenen zwei Jahren arbeitete er etwa am Projekt AO-Car, in dem ein autonom fahrender VW zu hunderten Testfahrten geschickt wurde.
Mobilitätslücke schließen
OPA3L hat es sich als Aufgabe gesetzt, das kooperative, vernetzte und autonome Fahren in ländlichen Vororten zu erforschen. Ein Szenario, in dem auch die großen Autobauer noch Neuland betreten. "Die Fahrassistenten von Tesla, Mercedes oder Google können sich schon sehr gut auf Autobahnen bewegen, aber auf dem Land sieht das anders aus. Da sehen wir hohen Forschungsbedarf", so der Ingenieur.
Die Forscherinnen und Forscher rechnen mit einem hohen Bedarf an autonomen Fahrzeugen in ländlichen Gegenden: So könnten Fahrdienste als eine Art Shuttle künftig Menschen von ihren Haustüren zu den ÖPNV-Angeboten oder wieder zurück fahren. "Wir glauben nicht, dass Menschen autonome Fahrzeuge in genau derselben Anzahl besitzen werden wie heutige Autos. Das ergibt wenig Sinn und würde kaum dazu beitragen, Verkehrsprobleme zu lösen und Staus zu verringern. Fahrdienste werden in Zukunft gemietet werden – wie ein Taxi, nur ohne Fahrer", ist der Projektmanager im OPA3L-Projekt überzeugt.
Dieses Szenario bezeichnen die Forscherinnen und Forscher auch als "Vehicle on Demand" – das Fahrzeug auf Abruf. Neben Berufstätigen werden diese Dienste Älteren oder Menschen mit Beeinträchtigungen eine neue Dimension der Mobilität ermöglichen.
Himmel und Erde – nahe beieinander
Mit dem Projekt geht das Team – das insgesamt aus über 29 Personen besteht – dabei einen anderen Weg als die Entwicklungsabteilungen der großen Autobauer. Denn die Grundlagen der Algorithmen, die das Bremer Auto steuern, stammen aus der Raumfahrt. "Roboter und Raumsonden müssen sich schon seit langem selbstständig im All bewegen können. Wir nutzen die Grundlagen autonom fahrender Weltraumfahrzeuge und wenden sie im Straßenverkehr an", so Echim.
Das Ziel der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist es, einheitliche Softwareumgebungen und künstliche Intelligenzen zu schaffen, die für verschiedene Zwecke weiterentwickelt werden können. Das steht im Gegensatz zu den Forschungsabteilungen der Autobauer, die ihre Algorithmen nur für ihre eigenen Zwecke entwickeln.
Interdisziplinäres Arbeiten erwünscht
So profitiert das Projekt OPA3L etwa auch vom Projekt TOPA3S, einer Bremer Forschungsplattform, die autonome Fortbewegung über verschiedene Fortbewegungsmittel – wie Flugzeuge, Schiffe oder Autos – hinweg erforscht.
"Bremen eignet sich hervorragend für interdisziplinäres Arbeiten, dank seiner Schwerpunkte zum Beispiel im Bereich der maritimen Wirtschaft oder der Raumfahrt", schildert Echim. So wird das Projekt OPA3L federführend von der Arbeitsgruppe für Optimierung und Optimale Steuerung unter Leitung von Prof. Dr. Büskens am Zentrum für Technomathematik umgesetzt.
Weitere Beteiligte der Uni Bremen sind die AG für Kognitive Neuroinformatik und die AG für Computergraphik und Virtuelle Realität, zudem noch die Universität der Bundeswehr in München sowie die Chemnitzer IAV GmbH Ingenieurgesellschaft Auto und Verkehr, die weitere drei Fahrzeuge in das Projekt einbringt, sowie die Münchener Advanced Navigation Solutions – ANavS GmbH. Letztere steuert etwa ihr Know-how im Bereich der Satellitennavigation bei. "Durch das autonome Fahren ändern sich auch die Anforderungen an die Satellitennavigation, sie wird unverzichtbar", führt Echim aus.
Hand am Steuer
Auch wenn die Praxiserprobung des Fahrzeugs schon bald beginnt, brauchen die Borgfelder Verkehrsteilnehmenden trotzdem keine Angst zu haben, dass ihnen demnächst ein fahrerloses Auto entgegenkommt. Denn noch muss eine Person hinter dem Steuer sitzen und im Notfall eingreifen können.