von Robert Uhde
Ob im Automobilbau, im Flugzeugbau oder in der Maritimen Wirtschaft: Überall sollen assistierte, automatisierte oder autonome Systeme zum Einsatz kommen. Diese als OAAA-Systeme (oder OA3) bezeichneten Entwicklungen werden unser heutiges Transportwesen grundlegend verändern. Aber der Weg in die autonome Zukunft ist weit und die Investitionen für Konzerne aller Branchen hoch. In Bremen gehen einige Forscherinnen und Forscher darum neue Wege.
Auf einem Parkplatz auf dem Gelände der Universität Bremen dreht gerade ein autonomes Auto seine Runden: "Ganz gezielt und mit Ausnahmegenehmigung vom Land Bremen können wir damit autonome und sichere Fahrmanöver im Stadtverkehr entwickeln und dann im Echtbetrieb testen", berichtet Prof. Dr. Christof Büskens beim Vorfahren des Fahrzeugs. "Eine besondere Rolle spielt dabei die im Kofferraum des Fahrzeugs eingebaute Steuerungstechnik, die die Signale der hinter der Frontscheibe integrierten Videokamera in Echtzeit auswertet und daraus die Entscheidungen für konkrete Fahrmanöver ableitet". Büskens ist Mathematiker am Zentrum für Technomathematik (ZeTeM) der Uni Bremen.
Vielfältige Anwendungen von OA3-Systemen
Vergleichbare Entwicklungen autonomer Systeme finden sich auch in anderen Branchen: "Das Einsatzgebiet von assistierten, automatisierten oder autonomen Systemen ist vielfältig und umfasst mittlerweile fast alle industriellen Fertigungsketten, logistischen Prozesse und Dienstleistungen", erklärt Büskens später in seinem Büro: "Am Standort Bremen betrifft das nicht nur die Automobilbranche, sondern auch weitere Schlüsseltechnologien wie die Fertigung von Flugzeugteilen, die Steuerung von Satelliten für die Raumfahrt oder die Logistikoptimierung in der maritimen Wirtschaft. Gemeinsam mit dem Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen haben wir deshalb den Aufbau des neuen Transferzentrums TOPA3S initiiert, das neue Impulse für die Entwicklung von automatisierten oder autonomen Systemen ermöglichen soll."
Vorrangiges Ziel des neuen Zentrums ist der optimierte Wissenstransfer zwischen der Wissenschaft und den vor Ort tätigen Unternehmen, so dass neue und innovative Lösungsansätze aus den Querschnittswissenschaften Mathematik und Informatik deutlich schneller und effektiver für konkrete Anwendungen eingesetzt werden können. Langfristig soll so eine national und international sichtbare Keimzelle für die Entwicklung von OA3-Technologien entstehen, die gleichzeitig auch das Anwerben und Halten von hochqualifizierten Fachkräften ermöglichen soll.
Von Gemeinsamkeiten profitieren
Auch wenn sich die Steuerung eines Flugzeugs, Schiffs oder Autos unterscheidet – autonome Systeme haben dennoch branchenübergreifende Gemeinsamkeiten. "Der Entwicklungsaufwand für diese sogenannten 'OA3-Systeme' ist gewaltig", sagt Büskens. "Mit dem neuen Transferzentrum TOPA3S wollen wir spartenübergreifende Impulse für den Standort Bremen schaffen." Als Startprojekt für das Zentrum steht die Weiterentwicklung einer Software zur automatisierten Erstellung von "digitalen Zwillingen" auf dem Programm – von mathematischen Simulationsmodellen also, mit denen sich reale Abläufe möglichst exakt nachbilden und optimieren lassen.
Erste Pilotanwendungen
Als erste Pilotanwendung haben die Wissenschaftler von TOPA3S die Programmierung von digitalen Zwillingen für autonome Fahrzeuge vorgesehen. Das eingangs geschilderte Forschungsfahrzeug schafft dabei eine ideale Basis, um die entwickelten Anwendungen anschließend auch im Echtbetrieb testen zu können. In weiteren Projekten soll in den kommenden Monaten die Entwicklung digitaler Zwillinge für den Flugzeugbau (Partner: Airbus Bremen), für Windkraftanlagen (Partner: Fraunhofer IWES) sowie zum autonomen Navigieren von Schiffen in sicherheitskritischen Bereichen (Partner: Trenz AG und Raytheon Anschütz) folgen.
Parallel dazu hat sich das TOPA3S zum Ziel gesetzt, die bestehenden Kooperationen und Kontakte zu der vor Ort ansässigen Wirtschaft weiter zu intensivieren, so dass die hiesigen Unternehmen künftig deutlich besser von neuen Entwicklungen profitieren können: „Mittelfristig soll sich der Standort Bremen so als ein zentraler Anlaufpunkt für die Optimierung, Assistierung, Automatisierung und Autonomisierung und als wichtige Basis für innovative Software-und Dienstleistungslösungen im Bereich von Digitalisierung und Industrie 4.0 etablieren“, beschreibt Prof. Dr. Christof Büskens seine Vision.
Reale Tests durch Simulationen ersetzen
Bis September 2020 wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine effiziente Software weiterentwickeln, die generalisiert und spartenübergreifend für unterschiedlichste OA3-Anwendungsbereiche genutzt werden kann: "Grundsätzlich setzen wir bei der Entwicklung von OA3-Systemen auf die computergestützte Simulation anhand von Algorithmen und mathematischen Modellen", erklärt Prof. Dr. Christof Büskens, der mit seinem Team zu den europaweit führenden Experten im Bereich Parameteridentifikation und Industriemathematik zählt.
"Das Ziel solcher 'digitalen Zwillinge' ist eine möglichst exakte und realitätsnahe Nachbildung von tatsächlichen Abläufen, um so in einem weiteren Schritt eine optimierte Automatisierung bzw. Autonomisierung der betreffenden Prozesse erreichen zu können." Je nach Anwendung lässt sich so zum Beispiel das Verhalten eines Fahrzeuges für unterschiedliche Fahrmanöver simulieren und dann weiter optimieren. Ein teures und zeitaufwendiges Experiment am Realsystem ist damit überflüssig.
Reale Daten für den digitalen Zwilling
Größte Herausforderung bei diesem Prozess ist die möglichst perfekte Anpassung des digitalen Zwillings an das Realverhalten: "Diese 'Bedatung' erfolgt bislang sehr zeitintensiv und ungenau durch den Menschen, der mit hohem Aufwand eine Vielzahl von Einzelanwendungen programmieren muss", erklärt Büskens' Kollege Dr. Mitja Echim. "Ganz bewusst entwerfen wir deshalb übertragbare Methoden und Algorithmen, die alternativ zum händischen Vorgehen eine automatisierte Bedatung von digitalen Zwillingen ermöglichen und die sich noch dazu unabhängig vom jeweiligen Einzelfall für unterschiedlichste OA3-Anwendungen einsetzen lassen."
Das Projekt wird mit Mitteln aus dem EFRE-Fond der Europäischen Union gefördert.