von Nina Svensson
Alleinerziehend und eine mehrwöchige Forschungsreise auf der Polarstern? Normalerweise undenkbar. Nicht so beim Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum
für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven: Dort gibt das Team vom Familienbüro alles, um Angestellte bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu unterstützen und auch das scheinbar Unmögliche möglich zu machen.
Winfried Hebold-Heitz ist Leiter des AWI-Familienbüros, das 2001 gegründet wurde. „Damals kam in Deutschland die politische Diskussion auf, dass viele Frauen studieren und ihren Doktor machen, aber im Stich gelassen werden, wenn sie eine Familie gründen und weiterarbeiten wollen“, sagt Hebold-Heitz. Darum hat das AWI damals extra eine Stelle geschaffen, um Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu entwickeln und zu koordinieren. Hebold-Heitz ist kein Wissenschaftler, sondern Pädagoge. „Als ich 2001 beim AWI anfing, gab es gerade mal 24 Krippenplätze in ganz Bremerhaven“, sagt er. „Außerdem galt es, die Schulferien zu überbrücken. Unsere Mitarbeitenden haben im Schnitt 30 Tage Urlaub, aber ihre Kinder mehr als doppelt so viele Tage unterrichtsfrei. Diese Spanne zu überbrücken war eins unserer ersten Ziele.“
Über das Alfred-Wegener-Institut (AWI)
Als Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung gehört das Alfred-Wegener-Institut (AWI) zu den wenigen wissenschaftlichen Einrichtungen in der Welt, die in Arktis und Antarktis gleichermaßen aktiv sind. Es koordiniert die deutsche Polarforschung, erforscht aber auch die Nordsee und ihre deutschen Küstenregionen. Mit seiner innovativen Forschung, einer ausgezeichneten wissenschaftlichen Infrastruktur und langjähriger Expertise untersucht das AWI praktisch alle Bereiche des Erdsystems von der Atmosphäre bis zum Grund der Meere. Das Institut wurde 1980 gegründet und hat heute mehr als 1.000 Mitarbeiter. Rund 900 von ihnen arbeiten am Hauptsitz in Bremerhaven, Außenstellen befinden sich in Potsdam, auf Helgoland, auf Sylt und in Oldenburg.
Über das Best-Practice-Barcamp
Über das Engagement und die Angebote des Familienbüros berichtete AWI-Personalentwicklerin Katharina Friederich bei einem Best Practice Bar Camp, zu dem der Bremer Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen im Januar 2019 in den Beluga Tower eingeladen hatte. Dort wurden viele Ideen zur Entwicklung einer Standortarbeitergebermarke für das Land Bremen gesammelt – beim Thema Personalmarketing spielt auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine wichtige Rolle.
Jedes Jahr sieben Wochen Ferienprogramm
Von Anfang an bietet das Familienbüro sieben Wochen Ferienprogramm. „Anfangs waren es fünf bis sechs Kinder, heute sind es rund 20, die täglich am Ferienprogramm teilnehmen“, sagt Hebold-Heitz. „Sie sind zwischen fünf und zwölf Jahre alt, ältere Kinder würden wir auch nehmen, aber sie machen oftmals schon eigene Pläne für ihre Ferien.“ Alleinerziehende Mütter oder Väter sind auf das Angebot angewiesen. „Es gibt einige, die ihr Kind schon am Jahresanfang für alle Wochen anmelden. Wir haben viele Mitarbeitende, die für ihren Job nach Bremerhaven gezogen sind und ihnen fehlt ein Netzwerk aus Großeltern und Familie.“ Auch Kinder mit Behinderung werden im AWI-Ferienprogramm betreut. „Eltern haben manchmal Hemmungen, die besonderen Bedürfnisse ihrer Kinder zu kommunizieren und ihre Kinder anzumelden. Bei uns sind grundsätzlich alle Kinder willkommen, wir passen das Angebot den Bedürfnissen der Kinder an und wir kümmern uns gerne.“
20 Krippenplätze für die Kleinsten
Das AWI bietet 20 eigene Krippenplätze für Kinder zwischen null und drei Jahren. Die Krippe ist nur fünf Minuten vom Hauptgebäude entfernt und täglich von 7.30 bis 16 Uhr geöffnet. Die Kinder können jederzeit abgeholt und auch in Teilzeit angemeldet werden. „Flexibilität und Transparenz ist uns bei allen Angeboten sehr wichtig“, sagt Hebold-Heitz. „Jede Familiensituation und jeder Bedarf ist anders. Darum arbeiten wir nicht mit vorgedruckten Formularen, sondern suchen lieber das persönliche Gespräch, um zu entscheiden, ob und mit welchem Angebot wir am besten helfen können.“
Pflege von Angehörigen wurde lange unterschätzt
Seit 2014 arbeitet Ines Föllscher ebenfalls im Familienbüro, sie kümmert sich insbesondere um die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. „Im Laufe der Jahre sind ja nicht nur unsere Mitarbeitenden, sondern auch ihre Eltern älter geworden, entsprechend häufiger müssen sie sich um die Pflege kümmern“, sagt Föllscher. „Im Zusammenhang mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist das Thema erst nach und nach in den Fokus gerückt. Es ist nun mal weniger positiv besetzt als zum Beispiel ein Kleinkind, das einen Krippenplatz braucht.“ Seit nunmehr fünf Jahren bietet das AWI-Familienbüro Seminare zum Thema Pflege an, bei informellen Treffen zum Frühstück gibt es Vorträge, und die Mitarbeiter können sich untereinander austauschen. „Auf ein Kind kann man sich ein paar Monate lang vorbereiten, aber ein Pflegefall entsteht manchmal sogar von heute auf morgen. Da bieten wir unsere Unterstützung an, informieren und vermitteln Ansprechpersonen“, sagt Föllscher. „Wir versuchen, alles möglich zu machen. Sogar wie in einem aktuellen Fall, in dem eine pflegebedürftige Mutter aus dem Ausland nach Bremerhaven geholt werden soll und nun vieles bezüglich Versicherungen und Aufenthaltsstatus geklärt werden muss.“Zuschuss für Betreuungskosten, wenn Mitarbeitende beruflich verreisen müssen
Selbst wenn Kinderbetreuung oder Pflege grundsätzlich organisiert sind, kommt es immer wieder zu Ausnahmen oder besondere Situationen. Kongresse, Tagungen, Forschungsreisen – AWI-Angestellte sind viel unterwegs. „Wenn jemand beruflich verreist und darum eine zusätzliche Betreuungs- oder Pflegekraft in Anspruch nehmen muss, dann kann man einen Zuschuss zu den zusätzlichen Kosten beantragen. Gerade für Alleinerziehende bedeutet das eine große Hilfe, damit sie an einem Kongress teilnehmen können“, sagt der Leiter des Familienbüros.
Unterstützung für internationale Mitarbeitende
Hilfe vom Familienbüro gibt es auch in anderen Fragen: So werden zum Beispiel internationale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Wohnungssuche unterstützt oder wenn sie Probleme mit ihren Vermietern haben. Auch bei Elterngesprächen in Kita oder Schule werden sie auf Wunsch begleitet, damit es keine sprachlichen Missverständnisse gibt. Hebold-Heitz hat allerdings die Erfahrung gemacht, dass es nicht damit getan ist, die Angebote auf die Webseite zu stellen. „Wir müssen gezielt und über mehrere Kanäle kommunizieren, damit die Informationen zur Familienunterstützung auch tatsächlich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ankommen.“ Ein Infotag für alle 35 Sektionsleiterinnen und -leiter lässt sich kaum realisieren – schließlich ist immer jemand unterwegs. Also besuchen Hebold-Heitz und Föllscher jede Führungskraft einzeln und sprechen mit ihnen über die Angebote des Familienbüros, damit diese die Informationen an ihre Angestellten weitergeben – grundsätzlich und vor allem im Bedarfsfall. „Wenn es um Kommunikation und Information geht, ist es sinnvoller für uns, das persönliche Gespräch zu suchen als einfach Formulare und Flyer zu verteilen.“ Aufgrund seiner umfangreichen Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist das AWI seit 2005 mit dem Audit Beruf und Familie zertifiziert.