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„An der Windenergie führt kein Weg vorbei!“

Dr. Stephan Barth, Geschäftsführer des ForWind - Zentrums für Windenergieforschung der Universitäten Oldenburg, Hannover und BremenDr. Stephan Barth, Geschäftsführer des ForWind - Zentrums für Windenergieforschung der Universitäten Oldenburg, Hannover und Bremen

Dr. Stephan Barth, Geschäftsführer des ForWind - Zentrums für Windenergieforschung der Universitäten Oldenburg, Hannover und Bremen

von Jann Raveling
Die Windenergiebranche befindet sich im Umbruch. 2018 sanken die Ausbauzahlen gegenüber dem Vorjahr um die Hälfte, auch aufgrund von regulatorischen Hürden rund um Genehmigungsverfahren. Ein Rückgang, der sich auch auf die Unternehmen der Branche auswirkt.

Trotzdem blickt Dr. Stephan Barth optimistisch in die Zukunft. Als Geschäftsführer von ForWind, dem Zentrum für Windenergieforschung der Universitäten Oldenburg, Hannover und Bremen, hat er einen guten Einblick in die Entwicklung der kommenden Jahre – sowohl aus wissenschaftlicher Sicht, als auch aus wirtschaftlicher. Mit uns sprach er über die aktuelle Energiepolitik, über wissenschaftliche Projekte im Norden und sein liebstes Forschungsprojekt.

Herr Barth, die Windenergiebranche stand in den letzten Jahren unter Druck. Wie sehen Sie den Norden aufgestellt?
Stephan Barth: Wir befinden uns in einer Konsolidierungsphase. Offshore-Projekte sind kapitalintensiv, die Entwicklung der neuesten Windenergieanlagen-Generation im Bereich von über zehn Megawatt Leistung ist teuer. Da können nur potente Unternehmen mithalten. An Land ist die Entwicklung und Errichtung günstiger, hier gibt es aber zunehmenden Wettbewerb durch asiatische Konkurrenten. Wir sind im Norden jedoch hervorragend aufgestellt, wir haben hier sowohl eine starke Industrie als auch eine starke Forschung, die eng zusammenarbeiten. Diese aktiven Partnerschaften machen viel aus, wir sind absolute Top-Region in der Windenergie und bleiben es auch.

Der Zubau der Offshore-Windenergie hat sich in den vergangenen Jahren verlangsamt. Welche Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden, um den Schalter wieder umzulegen? War die Wende hin zum Ausschreibungsmodell falsch?
Stephan Barth: Die früher hohe Einspeisevergütung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz war ein wichtiges Mittel, um der Technologie auf die Beine zu helfen, sie marktfähig zu machen. Jetzt ist die Technologie reif, Wind kann mit anderen Energieformen konkurrieren. Insofern ist die Wende zum Ausschreibungsmodell folgerichtig.

Wir müssen jedoch die Ausbauzahlen erhöhen. Wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen, führt kein Weg an der Windenergie vorbei, sie ist zusammen mit der Solarenergie die tragende Säule der Energiewende. Die derzeitigen langen Genehmigungsverfahren bremsen die Branche jedoch stark aus. Zusammen mit den hohen regulatorischen Anforderungen führt das zu großer Planungsunsicherheit. Hier müssen wir schneller und unbürokratischer werden.

ForWind ist das Forschungszentrum der nordwestdeutschen Windenergie – welches sind zurzeit die wichtigsten Themen für Sie?
Stephan Barth: Zum einen treibt uns die Kostenreduktion an. In den vergangenen Jahren hat die Branche enorme Fortschritte gemacht, Wind ist die günstigste Form der Energiegewinnung geworden. Aber es gibt noch sehr große Potenziale. Rotorblätter sind zum Beispiel schwerer als sie es müssten – leider verstehen wir die komplexe Aerodynamik turbulenter Winde noch nicht genug, um die derzeit hohen Sicherheitsfaktoren kleiner rechnen zu können.

Zum anderen forschen wir an der Zukunft der Energielandschaft Deutschlands, also auch das Zusammenspiel mit Stromnetzen und Energiespeichern. Hier spielt die Digitalisierung eine große Rolle, ob in der Steuerung von Anlagen und ganzen Parks oder in der Optimierung und Überwachung von einzelnen Komponenten mittels des so genannten Condition Monitorings.

Wie ist ForWind aufgestellt, um diese Ziele zu erreichen?
Stephan Barth: Wir verbinden 30 Institute an unseren drei Standorten in Bremen, Hannover und Oldenburg mit Schwerpunkten in den Bereichen Ingenieurwesen, Physik und Meteorologie, Informatik und Wirtschaftswissenschaften. Unser Ziel ist es, die Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung über anwendungsnahe Projekte in die Wirtschaft zu tragen. Man könnte uns auch als eine Art Überbau der Windenergie-Forschung im Nordwesten sehen, der für standortübergreifende und interdisziplinäre Forschung sorgt. Zudem sind wir im Forschungsverbund Windenergie aktiv, wo wir mit dem DLR und dem Fraunhofer IWES Großprojekte angehen können, die internationalen Rang haben.

Wie gestaltet sich die Arbeit zwischen den drei Standorten?
Stephan Barth: Bremen, Hannover und Oldenburg arbeiten komplementär, sie ergänzen sich in ihren Schwerpunkten. Während in Bremen Maschinenbau und Elektrotechnik überwiegt, arbeiten wir in Oldenburg an den physikalischen Grundlagen und an der Systemintegration, in Hannover wiederum insbesondere im Bereich Bauingenieurwesen und E-Technik. So ergeben sich schon ganz natürlich Kooperationen und Institute können miteinander offen reden, ohne Konkurrenz zu fürchten.

Kooperationen, gerade auch mit der Wirtschaft, tragen finanziell für die einzelnen Institute Früchte, sie können besser Drittmittel einwerben, da Gemeinschaftsprojekte möglich werden.

Arbeitet ForWind nur an der Vernetzung untereinander oder tritt es auch repräsentativ nach außen auf?
Stephan Barth: Sowohl als auch. An den einzelnen Standorten gibt es Koordinatoren, deren Aufgabe es ist, zu vernetzen, Kooperationspotenziale zu entdecken – kurz „Antennen“ in die Branche zu entwickeln, für Bremen ist das Christian Zorn, Leiter der Koordinierungsstelle ForWind Bremen . Darüber hinaus arbeiten wir auch in nationalen und internationalen Gremien. Wir beraten etwa die europäische Kommission, denn wir sind in der Lage, durch unsere Schnittstellenfunktion schnell einen Überblick über den derzeitigen Stand der Forschung zu erhalten.


Können Sie ein oder zwei herausragende Forschungsprojekte der letzten Jahre nennen?
Stephan Barth: Da wäre zum einen das Projekt HiPE-WiND, das die Hochleistungselektronik in der Windenergie zuverlässiger machen will. In dem Verbundprojekt entstehen europaweit einzigartige Prüfstände. Und zum anderen Blademaker, sowie dessen Nachfolger Bladefactory. In diesem Projekt geht es darum, die Rotorblattproduktion zu automatisieren, denn heutzutage steckt noch viel Handarbeit in der Herstellung eines Blattes.
Wenn Sie einmal die Forschungslandschaft betrachten, was benötigt diese noch unbedingt?
Stephan Barth: Für die Wissenschaft ist es sehr schwer, an die Daten von Windparks zu kommen, denn Windparkbetreiber halten diese oftmals unter Verschluss. Dabei sind das große Schätze, in denen unheimlich viel Optimierungspotenzial steckt. Glücklicherweise setzt allmählich ein Umdenken ein und Betreiber und Hersteller merken, dass sie profitieren, wenn sie bestimmte Daten der Wissenschaft zur Verfügung stellen.

Ein Beispiel ist unser Projekt SmartBlades, in dem wir gemeinsam mit DLR und IWES intelligente Rotorblätter entwickeln. Das kann man sich ähnlich wie an einem Flugzeug vorstellen, wo der Flügel über Klappen sein Strömungsprofil verändern kann. Hersteller könnten so effizientere Anlagen bauen.

Welches ist ihr derzeitiges Lieblingsprojekt?
Stephan Barth: Zurzeit werden in Deutschland zwei Forschungswindparks errichtet, einer in Nord- und einer in Süddeutschland. Im Norden im Landkreis Stade, mit drei Anlagen. Durch die dort anfallenden Daten versprechen wir uns neue Erkenntnisse. Das wird ein großartiges Projekt.

Was finden Sie am faszinierendsten an ihrer Arbeit?
Stephan Barth: Die Windenergie ist ein Forschungsbereich, in dem Erkenntnisse schnell ihren Weg in die Anwendung finden und nicht in einer Schublade verstauben. Wir können sehen, wie unsere Ergebnisse dazu beitragen, die Welt zu verbessern, wir tragen zur Energiewende bei!

Stehen Sie noch selbst im Labor?
Stephan Barth: Nein, leider nicht! Ab und an hätte ich schon Lust, selbst etwas zu forschen. Das erlaubt mir meine Arbeit als Geschäftsführer des Zentrums jedoch nicht. Und selbst wenn ich Gelegenheit dazu hätte – die Forschung ist so weit vorangeschritten, dass ich heute gar nicht mehr in der Lage bin, die komplexen Geräte ohne Einweisung zu bedienen. Wenn ich von meinem Büro im WindLab der Universität Oldenburg ein paar Stufen hinunter in die Labore gehe, staune ich jedes Mal, was da passiert. Insofern habe ich nicht ganz den Anschluss verloren (lacht).

Wenn Sie einmal völlig frei herumspinnen könnten, was würden Sie sich an Forschungsinfrastruktur für den Norden wünschen?
Stephan Barth: Wenn ich aber völlig frei herum spinne, würde ich mir einen Windkanal erträumen, der so groß ist, dass eine moderne Anlage hineinpasst! Windkanäle sind immer ein Kompromiss, die Skalierung vom kleinen Modell zur großen Anlage ist gar nicht so einfach und erfordert Abstriche. In Realgröße zu testen, das wär schon was – aber natürlich völlig utopisch und schlichtweg unbezahlbar.

Herr Barth, vielen Dank für das Gespräch!

Über Stephan Barth
Barth ist als promovierter Physiker seit 15 Jahren in der Windbranche tätig. Von 2007 bis 2008 forschte er in den Niederlanden, seit 2008 arbeitet der 42-jährige als Geschäftsführer von ForWind - Zentrum für Windenergieforschung der Universitäten Oldenburg, Hannover und Bremen.

Kontakt zum bremischen Koordinator von ForWind:
Christian Zorn

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