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Virtuell mit dem Containerriesen auf der Weser

Unglaublicher Ausblick: Bei Containerschiffen von fast 400 Metern Länge sitzt der Nautiker sechzig Meter über dem Wasser. © WFB/Volker Kölling

Unglaublicher Ausblick: Bei Containerschiffen von fast 400 Metern Länge sitzt der Nautiker sechzig Meter über dem Wasser. © WFB/Volker Kölling

von Volker Kölling
Vom Containerriesen zur kleinen Passagierfähre mit einem Klick - ein leichtes im neuen Schiffssimulator der Bremer Hochschule. Wir haben einen Blick hinter das Steuerrad - oder modern den Joystick - geworfen. Und festgestellt, dass wir auch an Land seekrank werden können.

Hier trainieren Kapitäne und Anwärter, wie man selbst die ganz großen Pötte sicher in den Hafen fährt: Die Bremer Hochschule hat für 1,6 Millionen Euro einen neuen Schiffssimulator in die vierte Etage des Traktes der Nautiker an der Werderstraße eingebaut. Mit ein paar Umbauten von Steuermodulen lässt sich das Brückenszenario genau an die Einrichtung der echten Schiffe anpassen: Mal steuert man einen Maersk-Tripple-E-Riesen per Joystick, mal die "Fair Lady" als klassisches Helgoland-Seebäderschiff am Rad.

Riesenschiffe lassen sich per Joystick mit dem Finger steuern

Beginnen wir mit dem Containerriesen: Das fast 400 Meter lange Containerschiff der Reederei Maersk hat zwei Schlepper vorn und achtern, die es langsam vor Bremerhavens Containerterminal drehen. Professor Thomas Jung ist als Leiter der nautischen Studiengänge dieses mal selbst in die Rolle des Kapitän-Trainees geschlüpft. Er gibt mit zwei Fingern am Joystick noch etwas mehr Ruderlage und schaut gebannt auf die moderne Overlay-Bildgebung, die ihm sein Schiff im Radarbild, aber eben auch gleichzeitig die Seekarte anzeigt: "Man denkt, man sitzt vorne schon auf der Pier. Aber tatsächlich könnte ich noch hundert Meter näher ran."

Der Blick aus dem Fenster hilft bedingt: Auf den Maersk-Tripple-E Schiffen befindet sich die Brücke sechzig Meter über der Wasserlinie. Die Arbeit auf einem Containerschiff ist nichts für Menschen mit Höhenangst. Aber um alle Entfernungen richtig einzuschätzen, braucht es die Erfahrung der Brückencrew - und die holt man sich als Nautiker ohne Gefahr für Schiff und Leben am einfachsten im Simulator.

Tim Dentler sitzt als Simulator-Instruktor im Zimmer hinter dem simulierten Brückenhaus und denkt sich immer wieder neue Herausforderungen für die Kandidaten aus. Seinen Chef lenkt er mal kurz mit einem Autopilot-Alarm ab. Ein paar philippinische Seeleute müssen ausgerechnet in der schwierigen Manöversituation etwas Wichtiges per Sprechfunk von ihrem Kapitän wissen. Jung ignoriert die Störfeuer. Er schaut auf die Anzeige des Doppler Logs, das ihm genau anzeigt, mit welcher Geschwindigkeit sich Bug, Mitte und Heck auf den gewünschten Parallelkurs zur Kaje drehen: "Ohne solche Hilfsmittel wäre das Manövrieren mit solch einem Schiff mit seinen 20 000 TEU fast unmöglich. Wir haben hier alles vor Augen, was es heutzutage in der Seeschifffahrt überhaupt gibt."

Jung zieht das Manöver sauber durch - immer in engem Sprechfunkkontakt zu den Schlepperbesatzungen. Alles dauert. Nicht zu vergleichen mit dem Speed von Flugsimulatoren. Jung lacht: "Small Speed - small damage, sagen wir. Hier sind unglaubliche Kräfte am Werke - und das muss man sich auch jederzeit klarmachen."

Wo es früher nur schneite, bleibt der Schnee jetzt liegen

Was auffällt, sind die Wind- und Strömungsverhältnisse, die mit dem neuen Simulator realistisch eingespielt werden können. Claus Bornhold, Vertriebsingenieur bei der Bremer Firma RME, hat sich auf den Platz des Lotsen gesetzt und lässt Tim Dentler mal einige Wetterszenarien über den Simulator einspielen: Plötzlich wird 360 Grad um die Brücke herum alles grau, die Sicht auf das Ufer mies. Es schneit. Bornhold lacht: "Früher konnten wir es auch schon schneien lassen. Aber heute bleibt der Schnee liegen. Aber im Ernst: Man sieht jetzt beispielsweise auch die Strömung an den Tonnen, die Rauchfahnen der Schiffe und wie sie davonwehen - oder Bug und Heckwellen." Solche Beobachtungen haben in diesem Fall nichts mit Seefahrtsromantik zu tun, sondern geben dem Nautiker wichtige Hinweise auf Störfaktoren, Wind oder auch Fahrtgeschwindigkeit und Richtung von Schiffen in der Umgebung.

Ganz fotorealistisch ist das neue RME-System "DISI XTREME" noch nicht, aber das ist tatsächlich weniger Aufgabe der Herstellerfirma als die des Teams rund um Thomas Jung und Tim Dentler. Das Institut für Maritime Simulation der Hochschule Bremen entwickelt für den Hersteller die Hafenszenarien und "baut" am Computer auch alle Schiffe. Thomas Jung zeigt auf zwei Autocarrier, die gerade von vorne kommen: "Für jedes Schiff, dass sie hier sehen, entwickeln wir ein komplexes 3D-Modell. Hydrodynamische Daten müssen erfasst werden. Am Ende haben wir oft 2500 Parameter für nur ein Schiff berechnet, die alle auf es wirken."

Auch die See und die Revierlandschaft will abgebildet werden: Vor Bremerhaven erkennt man sogar den Insel-Backsteinbau des alten Langlütjen-Forts aus der Kaiserzeit. Tim Dentler: "Und das muss auch noch für jede Tageszeit passen. Sprich: Wenn es dämmert oder Nacht wird, muss auch die Situation der Lichter an Land realistisch wie vor Ort zu sehen sein." Um das neue System und seine sieben 16:9-Projektoren bis ins letzte Detail zu füttern, warte noch viel Arbeit auf das Institut. Andererseits lässt sich durch das Geben und Nehmen mit dem Hersteller die teure Technik überhaupt erst bezahlen: 300 000 bis 400 000 Euro Umsatz generiert die Hochschule hier selbst durch die Software-Auftragsarbeiten für die Bildgebung und die Modelle, sowie die externen Schulungen. Das macht solche Anschaffungen leichter.

Die Lotsen der Nordsee durften als erste ran

Noch vor den Nautikstudenten haben Lotsen auf Deutschlands modernstem Schiffssimulator trainiert. Thomas Jung berichtet aus der Vergangenheit, wie an gleicher Stelle auf dem Vorgängersimulator schon die Eingangssituation in die neue Bremerhavener Kaiserschleuse mit ihrem recht kurzen Vorhafen simuliert worden ist. Auch die Maersk-Tripple-E-Riesen drehten sich schon lange vor ihrer Ankunft in Bremerhaven virtuell auf der Bildschirmweser in Bremens Innenstadt. "Harbour Risk Assessment" ist das Thema. Übersetzt bedeutet das, Risiken für den Hafen schon vorher einschätzen zu lernen. Thomas Jung: "Wir können hier durchspielen, unter welchen Bedingungen welche Schiffe noch Häfen anlaufen können oder was sie dabei zu beachten haben. Und man kann die Strömungsverhältnisse und deren Auswirkungen auf Manöver vor neuen Bauwerken wie Schleusen oder neuen Kajen hier genau durchtesten."

Der Simulator ist auch ein Angebot an Bremens Reedereien

Professor Jung hofft, dass deutsche und gerade auch Bremer Reeder und Hafeninstitutionen angesichts der Investitionen in die neueste Technik jetzt den Weg in die Werderstraße für ihre Trainings finden. In jedem Fall kann er jungen Leuten mit dem Berufswunsch Nautiker jetzt in Bremen das beste Übungsequipment der Republik an die Hand geben: Selbst der Maschinensimulator ein Stockwerk tiefer lässt sich in der Übung mit dem Brückensimulator verbinden. Jung: "Für die Studenten läuft es so: Alle bekommen erst einmal eine Einführung, bis sie fit im Fahren sind. Dann kommt im zweiten Schritt das Bridge Team Management, wenn wir aus den einzelnen Studenten komplette Führungscrews aufeinander einspielen wie im echten Schiffsbetrieb."

In der dritten Ausbildungsstufe schaltet Tim Dentler als "Big Brother" an seinen Bildschirmen im Hintergrund dann einen Gang höher: Die Übung Notfallmanagement ist ein echter Nerventest. Dentler: "Anfangs lachen alle noch. Aber nach fünf Minuten haben sie vergessen, dass sie im vierten Stock der Hochschule sitzen." Radarklemmer, GPS-Ausfall, GPS-Freeze, wenn die elektronischen Seekarten plötzlich ausfallen, kaputte Rudermaschinen, Blackouts der Hauptmaschinen, Brand an Bord und noch viele andere Zutaten gehören zu den Notfallszenarien. Thomas Jung: "Da in der Notsituation verengt sich das Bewusstsein. Das Spiel wird echt. Alle sind dann auch emotional voll dabei." Eine Kamera zeichnet grundsätzlich die Übungen auf. Ein wirkungsvolles Instrument, wenn jeder einzelne sieht, wie er einfache Fehler schnell vermeiden kann.

Auch Seekrankheit lässt sich hier simmulieren

Aber würden sich die Nautiker nicht auch noch wünschen, wie im Lufthansa-Simulator wirklich in einer Kabine auf Hydraulikmotoren zu schweben oder durchgeschüttelt zu werden, um alles noch etwas realistischer zu machen? Auf das Stichwort wechselt Tim Dentler noch einmal die Bedienelemente auf der Brücke. Das ist jetzt das kleine Seebäderschiff "Fair Lady" auf seinem Weg von Bremerhaven nach Helgoland in sechs Meter hoher Welle. Der Bug bohrt sich immer wieder in die Welle. Grünes Wasser klatscht an die Brückenfenster und läuft mit weißen Fäden wie in Zeitlupe am Glas hinunter. Alles dreht sich, man muss sich festhalten und schnell einen Platz suchen. Schwindeleffekt trotz festen Bodens: Die Wirkung der 360-Grad-Projektion trickst das Gehirn aus, zieht ihm den Boden unter den Füßen weg. Tim Dentler, Advocatus Diaboli des Simulators, grinst angesichts des kurzen Momentes der Magenverstimmung bei seinen Gästen über das ganze Gesicht: "Ich habe hier eindeutig den besten Job."

Weitere Informationen zum Logistikstandort Bremen und Bremerhaven erhalten Sie hier oder bei Andreas Born, Innovationsmanager Maritimes Cluster Norddeutschland und Industrie 4.0 , Tel. 0421 361-32171, andreas.born@wah.bremen.de

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